Auf der Suche nach den psychischen Ursprüngen des Rechts hat die psychoanalytische Rechtstheorie den auf Freud und Lacan basierenden Ödipuskomplex zur Erklärung herangezogen und den Bereich des Rechts mit dem Vater identifiziert. Demnach stellt das Gesetz des Vaters, welches Vatermord und Inzest mit der Mutter verbietet, eine grundlegende Struktur der Psyche und die Quelle der Rechtsgültigkeit dar. Im Sinne der psychoanalytischen Rechtstheorie gilt das äussere, kodifizierte Recht, weil bestimmte rechtliche Prinzipien wie Mord- und Inzestverbot in der Struktur der Psyche grundgelegt sind. Die psychoanalytische Rechtstheorie nimmt jedoch fast ausschliesslich die Position des Vaters im Ödipuskonflikt in den Blick und ignoriert feministische Weiterentwicklungen des psychoanalytischen Theoriegebäudes und die entsprechende Kritik am Ödipuskomplex weitgehend. Auch drei psychoanalytische Ansätze, die jeweils ein «Gesetz der Mutter» entwerfen und damit am Dogma des Gesetzes des Vaters rühren, sind bislang nicht von der psychoanalytischen Rechtstheorie rezipiert worden: Geneviève Morel (1) entwickelt ihre Theorie anhand von Lacans Konzept des Sinthoms und betrachtet die gesetzhaften Konsequenzen ambivalenter mütterlicher Worte. Juliet Mitchell (2) zufolge erlässt die Mutter ein Gesetz, das Mord und Inzest zwischen Geschwistern verbietet und für die Gleichstellung der Geschlechter von entscheidender Bedeutung ist. Amber Jacobs (3) erarbeitet das Gesetz der Mutter aus einem Muttermord im antiken Mythos der Orestie. Der Beitrag stellt die drei Theorien vor und überprüft, ob sie zum einen auf einen rechtlichen Kontext übertragbar sind und zum anderen für eine feministische Rechtstheorie fruchtbar gemacht werden können. Dafür wird über Disziplingrenzen hinweg an der Schnittstelle von Rechtsphilosophie, feministischer Theorie und Psychoanalyse angesetzt und so ein möglicher Rahmen für eine feministische psychoanalytische Rechtstheorie abgesteckt.
Journal für Psychoanalyse, 63, 2022, 60–77
Das Gesetz der Mutter
Überlegungen zu einer feministischen psycho analytischen Rechtstheorie
Cécile Huber (Düsseldorf )
Zusammenfassung: Auf der Suche nach den psychischen Ursprüngen des Rechts
hat die psychoanalytische Rechtstheorie den auf Freud und Lacan basierenden
Ödipuskomplex zur Erklärung herangezogen und den Bereich des Rechts mit
dem Vater identifiziert. Demnach stellt das Gesetz des Vaters, welches Vatermord
und Inzest mit der Mutter verbietet, eine grundlegende Struktur der Psyche
und die Quelle der Rechtsgültigkeit dar. Im Sinne der psychoanaly tischen
Rechtstheorie gilt das äussere, kodifizierte Recht, weil bestimmte rechtliche
Prinzipien wie Mord- und Inzestverbot in der Struktur der Psyche grundgelegt
sind. Die psychoanalytische Rechtstheorie nimmt jedoch fast ausschliesslich
die Position des Vaters im Ödipuskonflikt in den Blick und ignoriert feminis-
tische Weiterentwicklungen des psychoanalytischen Theoriegebäudes und die
entsprechende Kritik am Ödipuskomplex weitgehend. Auch drei psychoana-
lytische Ansätze, die jeweils ein «Gesetz der Mutter» entwerfen und damit am
Dogma des Gesetzes des Vaters rühren, sind bislang nicht von der psychoanalyti-
schen Rechtstheorie rezipiert worden: Geneviève Morel (1) entwickelt ihre Theorie
anhand von Lacans Konzept des Sinthoms und betrachtet die gesetzhaften
Konsequenzen ambivalenter mütterlicher Worte. Juliet Mitchell (2) zufolge erlässt
die Mutter ein Gesetz, das Mord und Inzest zwischen Geschwistern verbietet und
für die Gleichstellung der Geschlechter von entscheidender Bedeutung ist. Amber
Jacobs (3) erarbeitet das Gesetz der Mutter aus einem Muttermord im antiken
Mythos der Orestie. Der Beitrag stellt die drei Theorien vor und überprüft, ob sie
zum einen auf einen rechtlichen Kontext übertragbar sind und zum anderen für
eine feministische Rechtstheorie fruchtbar gemacht werden können. Dafür wird
über Disziplingrenzen hinweg an der Schnittstelle von Rechtsphilosophie, femi-
nistischer Theorie und Psychoanalyse angesetzt und so ein möglicher Rahmen
für eine feministische psychoanalytische Rechtstheorie abgesteckt.
© 2022, die Autor_innen. Dieser Artikel darf im Rahmen der „Creative Commons Namensnennung – Nicht
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D OI 10.1875 4/jf p.6 3 . 5
Das Gesetz der Mutter 61
Schlüsselwörter: Psychoanalytische Rechtstheorie, Feministische Psycho ana lyse,
Geneviève Morel, Juliet Mitchell, Amber Jacobs
Einleitung
Rechtstheorie ist der Bereich in den Rechtswissenschaften, der sich reflek-
tierend mit den grundlegenden Strukturen des Rechts auseinandersetzt. Dazu
gehören die Fragen, was Recht ist, wie es entsteht, warum es gilt und was gerech-
tes Recht ist. Die feministische Rechtstheorie will Frauen und marginalisierte
Gruppen in den Blick der Rechtswissenschaften rücken und sowohl theoretisch
als auch praktisch-politisch etwas an den als patriarchal erachteten Konzepten
und Strukturen des Rechts ändern (Bartlett & Kennedy, 1991, S. 1). Die psycho-
analytische Rechtstheorie basiert auf der Annahme, dass die väterliche Position
im Ödipuskomplex Recht und Gesetz hervorbringt und repräsentiert. Feministische und psychoanalytische Rechtstheorie teilen demnach die
Ansicht, dass Recht patriarchal, also im Wortsinne väterlich, strukturiert sei.
Während sich feministische Rechtsphilosoph*innen bemühen, patriarchale
rechtliche Strukturen aufzubrechen, weichen Vertreter*innen der psychoanaly -
tischen Rechtstheorie jedoch selten von ihrer auf Sigmund Freud und Jacques
Lacan beruhenden Annahme des «Gesetzes des Vaters» ab. Seit den Anfängen
der Psychoanalyse kritisieren insbesondere feministische Autor*innen, dass
das Ödipusmodell das männliche Subjekt gegenüber dem weiblichen privile -
giere. Stattdessen werten feministische Psychoanalytiker*innen zum Beispiel
die Position der Mutter auf (für einen Überblick vgl. Zakin, 2011). Von wenigen
Ausnahmen abgesehen (Cornell, 1991; Goodrich, 1995), hat die psychoanalytische
Rechtstheorie diese feministischen Entwicklungen innerhalb der Psychoanalyse
jedoch weitgehend ignoriert. So ergeht es auch drei psychoanalytischen Ansätzen, die jeweils ein Gesetz
der Mutter entwerfen und damit am Dogma des Gesetzes des Vaters rühren:
Geneviève Morel mit ihrem Buch «Das Gesetz der Mutter. Versuch über das sexu-
elle Sinthom» (2008), Juliet Mitchell, die ihr Konzept in «Mad Men and Medusas.
Reclaiming Hysteria» (2000) und «Siblings. Sex and Violence» (2003) dargelegt hat,
sowie Amber Jacobs und ihr Buch «On Matricide. Myth, Psychoanalysis, and the
Law of the Mother» (2007). Hier soll überprüft werden, ob diese drei Theorien
prinzipiell auf einen rechtlichen Kontext übertragbar sind, und in einem zwei-
ten Schritt, ob sie auch für eine dezidiert feministische Rechtstheorie fruchtbar
gemacht werden können.
62 Cécile Huber
Gemäss der herkömmlichen psychoanalytischen Rechtstheorie (vgl. etwa
Caudill, 2016; McNulty, 2019; Schulte, 2010) besteht das väterliche Gesetz im
Vatermord- und Inzestverbot unter einer Kastrationsandrohung und katapultiert
das Kind in die soziale Ordnung. Sowohl Freud als auch Lacan wenden das meta-
psychologische Modell des Ödipuskonflikts auch ins Kulturtheoretische, um die
Entstehung von Recht, Moral und des sozialen Gefüges zu erklären (Freud, 1912–
1913a; 1939a; Lacan, 1953/2006, S. 229–230). Im Sinne der psychoanalytischen
Rechtstheorie ist Recht als Struktur der Psyche zu verstehen, die auf die soziale
Ordnung einwirkt. Die beiden Bereiche stehen jedoch in einem Wechselverhältnis
zueinander, insofern die soziale Ordnung auch die Psyche beeinflusst. Das äussere,
ko di fizierte Recht gilt – zumindest zu einem gewissen, nicht unwesentlichen Teil –
also deshalb, weil bestimmte rechtliche Prinzipien wie Mord- und Inzestverbot in
der Struktur der Psyche grundgelegt sind. In anderen Worten entspringt die Geltung
des Rechts letztlich einer vorrechtlichen Struktur (Häußler, 2010). Die drei erwähnten, hier vorgestellten Theorien entwickeln die Idee eines
zusätzlichen mütterlichen Gesetzes und eröffnen Raum für eine soziale Ordnung,
die nicht allein durch väterliches Recht strukturiert ist. Im Folgenden werden
Morels, Mitchells und Jacobs Arbeiten nacheinander vorgestellt und auf ihre mög-
liche Verwendung in der Rechtstheorie hin untersucht. Dabei erweist sich eine
Kombination von Mitchells und Jacobs’ Theorien als vielversprechender Ansatz
für eine in ihrer Gänze noch zu entwickelnde feministische psychoanalytische
Rechtstheorie.
Geneviève Morel: Ambivalente mütterliche Worte
Die französische Psychoanalytikerin Geneviève Morel entwirft in «Das
Gesetz der Mutter. Ein Versuch über das sexuelle Sinthom» (2017) eine Theorie
des mütterlichen Gesetzes, die auf dem Lacanschen Konzept des «Sinthoms»
basiert. Zugleich schöpft Morel aus ihrer klinischen Erfahrung mit Fällen sexu-
eller Ambivalenz. In seinen späten Schriften erarbeitet Lacan das Konzept des
Sinthoms, mit dem er Teile seiner früheren, von Kulturtheoretiker*innen insbe-
sondere rezipierten Schriften widerlegt, in denen das Gesetz des Vaters eine her -
ausragende Rolle spielt. Im XXIII. Seminar degradiert er das väterliche Gesetz zu
einem blossen Symptom, sodass es nicht mehr mit der symbolischen Ordnung
gleichgesetzt ist (Lacan, 1976–77/2017). Insofern birgt die Lektüre des späten Lacan
für Morel die Möglichkeit, das Symbolische nicht als väterliche Ordnung, sondern
als geschlechtsunspezifischen Raum zu denken. Das Sinthom wird als Reaktion
Das Gesetz der Mutter 63
auf die mütterliche Sprache – sprich: das mütterliche Gesetz, insofern bei Lacan
Sprache und Gesetz in eins fallen – am Anfang des Lebens gebildet. Wie Morel (2017) ausführt, ist das Kind von Sprache umgeben und wird von
ihr unbewusst geprägt. In der frühen Lacanschen Theorie setzt die Sprache des
Vaters den Prozess der Subjektivierung in Gang. Die väterliche Sprache, «langue»,
benennt und identifiziert Dinge und stellt eindeutige Verbote auf. Aber auch die
Mutter spricht mit ihrem Kind. Ihre Sprache heisst bei Lacan in Anlehnung an
frühe kindlich-dadaistische Wörter wie «lala» lautmalerisch «lalangue». Sie ist für
das Kind ambivalent oder mehrdeutig, da es zu Beginn seines Lebens fast eins mit
seiner Mutter ist. Wie die Sprache des Vaters ist auch die der Mutter gesetzmässig,
in dem Sinne, dass sie etwas bewirkt oder auferlegt:
Insofern, als wir durch dieses Sprachbad unwissend geformt wur -
den, als unsere Mutter mit uns sprach (und wir mit ihr, sobald wir
im entsprechenden Alter waren), und damit die Wurzeln unseres
Begehrens in ihrem Begehren verankert haben. Unser ganzes Leben
bewahren wir in uns, in unserer Sprechweise, in unserem Stil, die
Merkmale ihres Begehrens und die Stigmata ihres Genießens. Das
sind die Spuren, die an sich schon ein ganzes Leben bedingen, ja
sogar schicksalsbestimmend sein können: Sie bilden, wenn sie nicht
durch ein anderes Prinzip abgelöst werden, die Art von singulärem
Gesetz, von dem ich hier sprechen möchte. (Morel, 2017, S. 20)
Wie hier dargelegt wird, können die Reste der mehrdeutigen mütterlichen
Sprache zu einer Art schicksalhaftem Orakelspruch werden, den es für das Kind
lebenslang auszudeuten gilt. Nach Morel (2017) ist das mütterliche Gesetz das
«erste Gesetz» (S. 52), «und es wird manchmal das einzige bleiben» (S. 20). Sie illustriert an einem Fall aus ihrer klinischen Praxis, wie mütterliche
Worte auch nach der Kindheit gesetzmässig wirken. Nach einer schwierigen Geburt
war das Erste, was der Tochter von seiner Mutter gesagt wurde, – und die Tochter
hat dies später erfahren –, der Satz, «sie hätte nicht leben sollen» (Morel, 2017,
S. 23). In seiner Ambivalenz kann der Satz einerseits bedeuten, dass die schwieri-
gen Umstände ein Überleben des Kindes unmöglich schienen liessen, oder dass
die Mutter nicht wollte, dass das Kind überlebte. Die Patientin – das inzwischen
erwachsene Kind – erinnert sich an diese Worte, als sie selbst drei Kinder hat, und
versucht, diese und sich nach der Geburt des dritten Kindes zu töten. Die ambi-
64 Cécile Huber
valenten Worte ihrer Mutter wurden für sie zum Gesetz, das sie mit ihrer Tat zu
befolgen versuchte (vgl. Morel, S. 25). Um sich nicht in der unverständlichen Sprache und im Begehren der Mutter
zu verlieren, muss sich, Morel zufolge, das Kind von ihr trennen. Dafür entwickle
es ein Trennungssymptom als «Zeichen eines Leidens» (Morel, 2017, S. 133). Morel
begreift demnach das Symptom als Pathologie des Gesetzes (S. 72). Das Symptom
sei jedoch auch eine Erlösung, da es die Trennung erst möglich mache (S. 20).
Jedes Kind entwickle solche Trennungssymptome, aber in Krankheitsfällen zeig-
ten sie sich deutlicher (S. 20). Im Prozess der Subjektivierung interpretiere das
Kind die zwei- oder mehrdeutigen Worte der Mutter und entscheide sich für eine
Interpretation (S. 414). Diese Wahl, so Morel, habe Auswirkungen auf die Art des
Symptoms, das man entwickle (S. 414). Das Gesetz des Vaters sei eines von mehre -
ren möglichen Trennungssymptomen, da es durch das Inzestverbot eine Trennung
von der Mutter ermögliche (S. 20, 45 f.). Indem das Gesetz des Vaters im Spätwerk
Lacans zu einem Symptom unter vielen degradiert ist, wird auch die Gleichsetzung
vom Gesetz des Vaters mit der symbolischen Ordnung aufgehoben. Das Subjekt bildet nach Morel (2017) ein Sinthom, um mit dem Leid anzei-
genden Symptom umzugehen, das heisst, das Sinthom hält das Subjekt zusammen
(S. 133). Wenn das Subjekt es nicht selbst bilden könne, könne das Sinthom zum
Beispiel auch durch einen kreativen Prozess oder in einer Analyse gebildet wer -
den, wobei es dann oft darum gehe, Ambiguitäten herauszuarbeiten und anzuer -
kennen (S. 31, 406). Das Sinthom sei bei jedem Individuum einzigartig, da jede*r
die mütterliche Sprache anders interpretiere (S. 406, 413). Das vom mütterlichen
Gesetz geprägte Sinthom ersetze das Gesetz des Vaters bzw. den Ödipuskomplex
als vorrangiges Theoriemodell (S. 410 f.). Wie Franz Kaltenbeck (2017) jedoch zu
Morel feststellt, ist das Gesetz der Mutter bei ihr nicht das Gegenteil des Gesetzes
des Vaters, sondern ein zweites, weiteres Gesetz. Nun stellt sich die Frage, ob das, was Morel unter dem mütterlichen Gesetz
versteht, auch auf die psychoanalytische Rechtstheorie übertragbar ist. Die Mutter
ist eine Gesetzgeberin, insofern sie das Gesetz äussert, und insofern das, was sie
sagt, wirksam ist, also «Gesetzeskraft» besitzt (Morel, 2017, S. 25). Die Autorin
kennzeichnet das Gesetz mit den Worten «mehrdeutig», «undurchsichtig» und
«verrückt», ein Gesetz, das uns «aufgedrängt» wird, das «unterwirft» und das «unwi-
derruflich» ist (S. 10 f., 20). Anders als das Gesetz des Vaters in den Frühschriften
Lacans kodifiziert das Gesetz der Mutter jedoch für Morel keinen fixen Inhalt wie
das Inzest- und Vatermordsverbot, sondern bleibt inhaltlich offen und von der
Auslegung des Kindes abhängig.
Das Gesetz der Mutter 65
Morel (2017) selbst meint, dass sie das Gesetz der Mutter nicht als Recht im
engeren Sinne verstehe: «Ich spreche hier nicht von den Gesetzen im institutionel-
len und juristischen Sinn, sondern von der Existenz eines grundlegenden Gesetzes,
das mit der Sprache verbunden ist» (S. 20). Es geht ihr also wie Freud und Lacan um
eine Art vorrechtliches Recht oder Urrecht im Bereich des Psychischen, das auf ver -
schlungenen Wegen auf die symbolische Ordnung einwirkt. Jedoch sieht sie die bei-
den Sphären des Psychischen und des Symbolischen als voneinander getrennt an.
Das Gesetz der Mutter befindet sich nach Morel nicht innerhalb des Symbolischen,
sondern vor ihm, ganz am Anfang der Subjektbildung. Für sie ist es nicht entschei-
dend, wie es die Struktur der Gesellschaft prägt, sondern dass es «gesetzgebende
Worte» (S. 26) gegeben hat, die dann interpretiert und zu einem Fluch werden
können. Morel will also nichts Normatives aus dem mütterlichen Gesetz ablei-
ten. Dies stellt sie unter anderem mit einer scharfen Kritik am Lacanianischen
Rechtstheoretiker Pierre Legendre und jenen Gutachter*innen im französischen
Rechtssystem klar, die das Gesetz des Vaters als Rechtfertigung wörtlich nehmen,
um eine väterliche Strukturierung des Rechts im geschriebenen Recht zu veran-
kern, wie etwa bei Fragen von Adoption, Abstammungsrecht, Ehe oder queeren
Lebensentwürfen (S. 14, 30, 409–411). Nach Morel begriffen diese das Gesetz des
Vaters fälschlicherweise als «transzendentes Prinzip […], das gewissermassen vom
Himmel herabsteigen würde, um sich in das Unbewusste des Subjekts einzuschrei-
ben» (S. 28). Morel unterstreicht, dass, wenn überhaupt, die Transzendenz des
Namens-des-Vaters gerade aus dem inneren psychischen Raum komme, d. h. eben
nichts Äusserliches sei. Sie wirft Legendre und seinen Anhänger*innen vor, Lacan
nicht bis zum Ende gelesen zu haben, und stellt fest, dass das Gesetz des Vaters aus
Sicht der Klinik nichts per se Gesundes sei, das Verrücktheit verhindere und für
Ordnung sorge, sondern dass es selbst ein Symptom sei (vgl. S. 140 f.).
Letztlich zeigt sich Morel in ihrer Kritik von Pierre Legendre skeptisch gegen-
über dem ganzen Unterfangen der psychoanalytischen Rechtstheorie. Sie lehnt
es ab, psychische Prinzipien wie das Gesetz des Vaters oder das Gesetz der Mutter
auf rechtliche Zusammenhänge zu übertragen. Auch ihr ambivalenter, offener
Rechtsbegriff lässt sich nicht leicht für die Rechtstheorie nutzbar machen. Hingegen stellt Morels Theorie einer ungeschlechtlichen symbolischen
Ordnung ein interessantes Modell für die feministische und insbesondere queere
Psychoanalyse vor. Das Sinthom ist ein nicht-vergeschlechtlichtes Konzept, das die
sexuelle Differenz durch den Phallus nicht voraussetzt (Morel, 2017, S. 403–406).
Morel sieht weder das Gesetz des Vaters, noch das der Mutter als etwas Positives,
sondern als blosse sprachliche Strukturen. Das Kind muss irgendwann den müt-
66 Cécile Huber
terlichen Bereich verlassen und die Welt betreten, was mit oder ohne Einbeziehung
des Vaters geschehen kann. Wenn das Symbolische nicht mehr väterlich ist, ist
die Welt, in die das Kind eintritt, auch nicht mehr intrinsisch väterlich struk-
turiert. Insofern eröffnet Morels Theorie Raum für eine symbolische Ordnung,
die ver schiedene Geschlechtsrollen gleichermassen einschliesst. Der Verdienst
ihres Buches liegt also darin, die Bedeutung der Mutter zu unterstreichen und die
Überbetonung des Vaters infrage zu stellen.
Juliet Mitchell: Verbot von Geschwistermord, -inzest und jungfräulicher
Geburt
Im Gegensatz zu Morel arbeitet die britische Psychoanalytikerin und femi-
nistische Theoretikerin Juliet Mitchell mit Lacans früher Theorie. In ihren Büchern
Mad Men and Medusas (2000) und Siblings: Siblings: Sex and Violence (2003) arbei-
tet sie aus klinischen Fällen ihrer Praxis ein Gesetz der Mutter heraus, das sich
nicht nur vertikal zwischen dem Kind und seinen Eltern erstreckt, sondern auch
in horizontaler Richtung zwischen dem Kind und seinen Geschwistern. Das Gesetz der Mutter kommt Mitchell zufolge zum Tragen, wenn das
Kleinkind ein neues Geschwisterchen bekommt oder sich zumindest die Mög-
lichkeit dessen vorstellt. Sie beschreibt anhand klinischer Fälle und literarischer
Beispiele, dass die Geburt eines weiteren Geschwisters einerseits den mörderischen
Wunsch des Kleinkindes errege, die Konkurrenz zu beseitigen, weil sie den bishe-
rigen Platz des Kindes bedrohe. Andererseits rufe es die narzisstische Liebe des
Kleinkinds hervor, da es im Baby eine Ähnlichkeit zu sich selbst erkenne (Mitchell,
2000, S. 20; 2003, S. 10). Dies könne sich auf eine real bevorstehende Geburt, aber
auch auf die imaginäre Geburt eines potenziellen neuen Geschwisters beziehen,
sodass es auch von einem Einzelkind empfunden werden könne, oder es könne
sich um eine*n Cousin*e oder ein anderes nahestehendes Kind handeln (S. 2, 53).
Angesichts eines neuen Geschwisters könne es ausserdem dazu kommen, dass
das Kind sich vorstelle, es selbst sei die Mutter und habe das Geschwisterchen
geboren, wobei sowohl Jungen als aus Mädchen diese Phantasie hätten (Mitchell
in Garb & Nixon, 2005, S. 19). Mitchell arbeitet heraus, dass das Gesetz der Mutter im Verbot des Ge -
schwistermords, des Geschwisterinzests sowie der Phantasie der parthenogene-
tischen Reproduktion besteht, d.h. der Phantasie, ein Kind nur aus sich selbst her -
aus zu gebären (Mitchell, 2003, S. 43, 52 f.). Die Mutter könne dem ein Ende setzen,
indem sie dem Mädchen zu verstehen gäbe, «Du kannst noch nicht gebären», und
dem Jungen «Du wirst es nie können» (vgl. Mitchell, 2000, S. 155).
Das Gesetz der Mutter 67
The law of the mother operates both vertically between herself and
the children and laterally to differentiate her children one from
each other. Vertically her law decrees that children cannot procreate
children. It is exactly this law that is flouted in hysteria. […] By
differentiating between her children, the mother and her law allow
for the concept of seriality to be internalized […]. One is a child
in the same position as one’s siblings in regard to one’s parent or
parents, as one’s peers in relation to one’s teacher or boss, but one is
also different: there is room for two, three, four or more. Of this the
hysteric in all of us is unaware. Hate for the sibling enables the first
move to be made: I hate you, you are not me, is the precondition of
seriality. The mother restricts this hate – enjoins its non-enactment.
(Mitchell, 2003, S. 53–54)
Das Gesetz der Mutter sorgt dafür, dass der Gedanke von Serialität, also
einer sequenziellen Folge gleichwertiger Glieder, verinnerlicht wird, was Mitchells
Theorie eine gesellschaftliche Dimension verleiht. Kinder lernen durch ihre realen
oder imaginären Geschwister und das mütterliche Gesetz, dass sie für die Mutter
alle gleich, aber verschieden sind, “the same but different” (Mitchell in Garb &
Nixon, 2005, S. 22, vgl. S. 19–20). Wie Duschinsky und Walker (2015) zu Mitchell aus-
führen, ermöglicht dies soziale Beziehungen und damit das Prinzip der Gleichheit:
Siblings form the first model for lateral or peer relations – for the
achievement of meaningful equality – and so the success of the
attempt to overcome the murderousness of sibling relationships
is important for the establishment of social relations with peers
and equals. (S. 6)
Die laterale Differenzierung im mütterlichen Verbot von Geschwistermord
und Inzest wird damit zum metapsychologischen Grundstein des zentralen femi-
nistischen Gedankens der Gleichheit. Mitchell versteht dabei Gleichheit sowohl
sozial als Gleichheit zwischen allen Individuen der Gesellschaft als auch als
Gleichheit zwischen den Geschlechtern. Sie unterstreicht, dass neben der Mutter
auch sekundäre Sozialisationsinstanzen, wie Schulen oder Peer Groups, das Gesetz
der Mutter erlassen und so für eine Verinnerlichung des Gleichheitsgedankens
sorgen könnten (vgl. 2003, S. xiv).
68 Cécile Huber
Die Akzeptanz des Gesetzes löst Mitchell zufolge den parthenogenetischen
Komplex und die mörderischen und sexuellen Wünsche auf, die mit der Ankunft
eines neuen Geschwisters entstehen. Das Kind lerne, die andere Person nicht
zu töten, sondern als Nächste*n zu lieben. Die Mutter gäbe damit den Anstoss,
Subjekt-Subjekt-Beziehungen und später reziproke Partnerschaften zu bilden
(Mitchell in Garb & Nixon, 2005, S. 24; Mitchell, 2000). Duschinsky und Walker
(2015) gehen so weit, dass sie Phänomene wie Gewalt im Krieg oder in intimen
Beziehungen als mögliche Symptome einer unzureichenden Verinnerlichung des
Gesetzes der Mutter erklären (S. 6). Ausserdem könne auch die Herabsetzung von
Frauen als unzureichende Verinnerlichung des Gesetzes bei männlichen Kindern
gesehen werden, da sie nicht als Gleichberechtigte akzeptiert würden (S. 7). Mitchells Modell des mütterlichen Gesetzes ähnelt nicht nur strukturell
dem väterlichen von Freud und Lacan, sondern es ist auch auf gleicher Ebene
angesiedelt (2003, S. 51–52). Zeitlich gesehen kommt das Gesetz der Mutter Mitchell
zufolge jedoch zuerst (2000, S. 344). Beide Gesetze, das der Mutter und das des
Vaters bestehen aus einem zweifachen Verbot (von Inzest und Mord) und in der
Beschränkung eines Wunsches (Kastration bzw. Parthenogenese). Wie das Gesetz
des Vaters verlangt auch das der Mutter Gehorsam und stellt eine Quelle der
Rechtsgültigkeit dar, insofern es auf die soziale Welt einwirkt und ihre Organisation
strukturiert. Anders als Morel betont Mitchell (2013) die Verschränkung von Psyche
und sozialer Ordnung:
Psychoanalysis works with and tries to describe the establishment
of human culture in the inner world, the unconscious psyche of
the individual. This culture starts as the diversely expressed but
nevertheless general or universal rules, regulations, and laws we
are all meant to obey without thinking or even consciously know-
ing about. The rules and laws are most clearly seen in their many
failures: the psychoses (or madness), neuroses, dreams, slips of the
tongue or pen, and the psychopathologies of everyday life and the
expression or acting out of what has been prohibited. (S. 152)
Mitchells Rechtsbegriff lässt sich also auf die psychoanalytische Rechtstheo-
rie übertragen. Indem das Gesetz der Mutter die Akzeptanz von Gleichheit erwirkt,
liefert es auch einen feministischen Beitrag zur rechtstheoretischen Diskussion.
Anders als bei Morel ist Mitchells Mutter ein Subjekt mit Handlungsmacht (agency)
Das Gesetz der Mutter 69
und nicht allein ein präödipales weibliches Mutterobjekt (Mitchell in Garb & Nixon,
2005, S. 24). Offen bleibt jedoch die Frage, warum es bislang nicht gelungen ist, Gleichheit
zwischen den Geschlechtern nicht bloss de jure (nach dem Gesetz), sondern auch
de facto (faktisch) zu erreichen, wenn das Gesetz der Mutter solche Gleichheit
begünstigt. Man kann Mitchells Antwort darauf höchstens in ihren frühen,
marxistisch geprägten Schriften suchen, worin sie darlegt, dass zur Veränderung
der patriarchalen symbolischen Ordnung eine gesellschaftliche Revolution
notwendig sei und die Psychoanalyse nur beschreibe, wie das Patriarchat funkti-
oniere (Mitchell in Hollway & Walsh, 2015, S. 115; Mitchell, 1974). Trotzdem bleibt
unklar, warum die Gesellschaft nicht auf das schon in Kraft gesetzte mütterliche
Gesetz achtet bzw. warum es nicht ausreichend verinnerlicht wurde. Der Blick auf
die dritte Theorie von Amber Jacobs versucht diese Erklärungslücke zu schliessen
und rekurriert dabei auf Mitchells Idee der parthenogenetischen Phantasie des
Mannes.
Amber Jacobs: Verschluckte Mütter und vermeintlich omnipotente
Väter
In ihrem Buch On Matricide (2007) greift die britische Kulturwissenschaftle-
rin Jacobs auf einen verdrängten Muttermord im antiken Mythos der Orestie zu rück
und liest diesen neu, um die symbolische Ordnung mittels des Gesetzes der Mutter
nicht-patriarchal zu restrukturieren. Anders als Lacan sieht Jacobs das Symbolische
nicht als statisch und intrinsisch väterlich an, sondern als dynamisch und hetero-
gen ( Jacobs, 2007, S. xi). Die Orestie zeigt für Jacobs beispielhaft, wie die aktuelle
symbolische Ordnung die Mutter, ihr Gesetz und die Beziehung der Tochter zu
ihr ausschliesst (S. 57). Dem Mythos nach opfert Agamemnon seine Tochter Iphigenie, um
den Krieg gegen Troja zu gewinnen. Bei seiner Rückkehr tötet ihn seine Frau
Klytaimnestra aus Rache dafür. Ihr Sohn Orest beschliesst daraufhin, wiederum
sie dafür zu töten. Da Muttermord jedoch als Unrecht gilt, verfolgen ihn anschlies-
send die Erinnyen (die drei Rachegöttinnen). Schliesslich wird Orests Schicksal in
einem Prozess verhandelt, aber es kommt kein klares Votum zustande. Die Göttin
Athene wird zu Rate gezogen und stimmt für Orests Freispruch. Sie begründet
ihre Fähigkeit zur weisen Urteilsfällung damit, dass sie selbst keine Mutter hatte.
Die Erinnyen werden versöhnt und zu den Eumeniden (den Wohlgesinnten), die
fortan Athene und der gleichnamigen Stadt, die nach demokratischen Prinzipien
aufgebaut wird, dienen. Athenes Freispruch wird in vielen Interpretationen als
70 Cécile Huber
Etablierung des väterlichen Rechts und der demokratischen Ordnung gesehen
( Jacobs, 2007, S. 176). Im Mittelpunkt des Mythos scheint der Matrizid Orests zu stehen. Jacobs
interessiert sich allerdings nicht für Klytaimnestra, sondern für Athene, die, ohne
es zu wissen, eine Mutter namens Metis hatte, die selbst einem Mord zum Opfer
fiel. Metis, die griechische Göttin der Weisheit und Klugheit, widersetzte sich dem
Gott Zeus, als der sie bedrängte, woraufhin er sie vergewaltigte und schliesslich
die mit Athene schwangere Metis verschluckte. Metis hatte versucht, ihm zu ent-
kommen, indem sie sich in verschiedene Tierformen verwandelte, aber er konnte
sie, als sie eine Fliege war, fangen und verschlingen. Nur Athene überlebt und wird
bekanntlich von Hephaistos aus dem Kopf des Zeus befreit oder «geboren». Metis
geht im Inneren von Zeus auf und wird nicht mehr erinnert. Zeus bemächtigt
sich ihrer Fähigkeiten von Weisheit und Klugheit sowie der Fähigkeit zu gebären. Metis ist in Jacobs’ Interpretation die verdrängte, zugrundeliegende müt-
terliche Kraft, auf der die etablierte Ordnung ruht. Metis wird von Zeus einverleibt,
hinterlässt keinen Körper, der betrauerbar wäre, und wird somit nicht symbolisch
dargestellt ( Jacobs, 2007, S. 122). Ihr Mord bleibt ungesühnt und führt dazu, dass
auch der Mord an Klytaimnestra nicht gesühnt wird ( Jacobs, S. 32–44). Zusätzlich
bleibt auch Zeus’ Phantasie der parthenogenetischen Fortpflanzung – die männ-
liche Phantasie zu gebären – durch ihre Abwesenheit unwidersprochen.
The Metis myth allows us to glimpse how the female generative
capacity was (and continues to be) written out of our cultural
dominant mythologies and traces the process whereby the cultural
laws underlying the maternal function are expelled from symbolic
mediation in order to keep intact the male phantasy of independent
generation. ( Jacobs, 2007, S. 69)
Jacobs übernimmt diesen Gedanken der männlichen parthenogenetischen
Phantasie von Mitchell ( Jacobs, 2007, S. 123). Obwohl es eine Mutter gab, die im
Mutterleib ein Kind trug, wird vorgegeben, dass Athene, die Göttin der Weisheit, aus
dem Kopf des Zeus «geboren» sei, der damit im doppelten Sinne zum «Göttervater»
wird und so seine (vermeintliche) Omnipotenz realisiert. Ohne ihre eigene Mutter,
Metis, zu kennen, spricht Athene Orest vom Muttermord frei und hält damit die
parthenogenetische Phantasie aufrecht. Athene wiederholt auf diese Weise sym-
bolisch den Muttermord und verewigt die väterliche Ordnung; auch die anderen
Frauen im Mythos verschleiern den Matrizid ( Jacobs, 2007, S. 64, 107–20; 163–77).
Das Gesetz der Mutter 71
Der vertuschte Muttermord an Metis stellt jedoch Jacobs (2007) zufolge
eine ständige Bedrohung für die Überlegenheit der väterlichen Ordnung dar, denn
die Allmachtsphantasie basiert auf jenem Muttermord (S. 122). Das Gesetz, das es
verbot, die Mutter zu vergewaltigen, zu verschlingen und zu ermorden, ist durch
die Einverleibung verschleiert. Jacobs arbeitet heraus, worin dieses Gesetz der
Mutter bestanden hätte. Von Metis ist bekannt, dass sie sich gegen Zeus wehrte
und versuchte, ihm durch Gestaltwandel zu entkommen. Zeus bemächtigt sich
ihres Körpers, ihrer Kräfte und ihrer Fähigkeit zu gebären, womit ihre Subjektivität
und ihr Wille ausgelöscht werden (S. 70). Rechtstheoretisch betrachtet lässt sich das Gesetz der Metis hier also
re kon struieren als a) die Beschränkung der Gebärfähigkeit auf die Mutter bzw. die
Zurückweisung der männlichen Allmachtsphantasie, b) das Verbot des Mut ter -
mordes, c) das Verbot der Vergewaltigung und d) das Verbot der Tötung der Tochter.
Auf der Rechtsfolgenseite fordert das Gesetz, jedwede Übertretung zu bestrafen
( Jacobs, 2007, S. 176). Jacobs (2007) stellt heraus, dass das Befolgen des Gesetzes auch zu einer
guten Mutter-Tochter-Beziehung beitrüge, da die Tochter Athene nicht um die
einverleibte Mutter trauern und sich so auch nicht von ihr abgrenzen könne (S. 148–
156). Nur wenn die Tochter in der Lage ist, ihre Position und die ihrer Mutter zu
differenzieren, fallen die Positionen von Tochter und Mutter nicht ununterscheid-
bar zusammen, sodass eine weibliche Genealogie entstehen kann. Jacobs’ Verständnis von Gesetz und Recht ist also auf die Rechtstheorie
übertragbar. Das Gesetz der Metis umfasst Verbote und Beschränkungen, die
sich auf die soziale Ordnung auswirken können. In anderen Worten kann von der
mütterlichen Position, so sie nachträglich re-symbolisiert wird, wie bei Mitchell
Recht in Kraft gesetzt werden und Rechtsgeltung resultieren. Mit Claude Lévi-
Strauss begreift Jacobs Mythen – den Ödipusmythos bzw. die Orestie – als der Kultur
zugrundeliegende Geschichten, deren Strukturen etwas über die Gegenwart sagen
( Jacobs, 2007, S. 17). Indem Jacobs die Mythen neu liest, will sie in das männliche
Imaginäre eingreifen, es infrage stellen und einen Zustand entwerfen, den sie
als «post-patriarchale Zukunft» bezeichnet (S. 76). Dabei unterscheidet sich die
Struktur des verborgenen Muttermordes in der Orestie von der ödipalen Struktur,
ist ihr aber nicht entgegengesetzt. Der Ödipuskomplex bietet für Jacobs nach wie
vor eine genaue Beschreibung bestimmter Effekte der männlichen Subjektivierung
(S. 45–46). Jacobs benutzt den Mythos nicht, um in Nostalgie zurückzublicken,
sondern um ein weibliches Imaginäres und Symbolisches zu konstruieren, das erst
noch sein wird, «yet to be» (S. 137). Einem anderen Gesetz als dem väterlichen zu
72 Cécile Huber
gehorchen, erzwingt Jacobs zufolge eine Veränderung der dominanten kulturellen
Struktur (S. 177). Man könnte das Gesetz der Mutter daher auch als regulative
Utopie begreifen, nach der man die Politik ausgestaltet. Wie bei Mitchell stellt sich auch bei Jacobs die Frage, wie ihre Theorie und
die faktische Gesellschaft zusammenhängen. Psychische, sexuelle und körperli-
che Gewalt gegen Frauen und Mädchen besteht auch in der Gegenwart und lässt
sich durchaus als männliche Allmachtsphantasie in Bezug auf den weiblichen
Körper und Geist begreifen. Diese Gewalt ist zwar in vielen Fällen strafrechtlich
sanktioniert (jedenfalls in vielen Jurisdiktionen, wobei weltweit eine zunehmende
Repression von Frauenrechten zu beobachten ist, vgl. UN Women Headquarters,
2020). Dennoch wird strafrechtlich relevantes Verhalten häufig nicht verfolgt,
Verfahren werden nicht aufgenommen oder eingestellt und die Gewalt damit
letztlich geduldet (vgl. etwa Schwarz, 2020). Eine weibliche Perspektive auf Gewalt
erfährt im Rechtssystem möglicherweise deswegen eher wenig Gehör, weil sie
das System destabilisieren würde. Man könnte also sagen, dass das Gesetz der
Mutter, welches die männliche Allmachtsphantasie begrenzt und die gegen Frauen
gerichtete Gewalt verbietet, zwar an sich formal besteht, aber aufgrund eines fort -
dauernden symbolischen Muttermordes keine durchschlagende Wirkung besitzt.
Ein möglicher Ansatz für eine feministische psychoanalytische
Rechtstheorie
Ziel dieses Aufsatzes war es, mit dem «Gesetz der Mutter» ein theoretisches
Instru
ment zu entwickeln, das sowohl für eine psychoanalytisch orientier
te Rechts-
philosophie produktiv ist als auch normativ für eine feministische Rechtspolitik
verwendet werden kann. Ich schlage vor, dafür Jacobs und Mitchell analog zu
Freuds bifokaler – also der metapsychologischen und der kulturtheoretischen –
Perspektive auf das Ödipusmodell zusammenzulesen. In gewisser Hinsicht steht
Mitchells Modell zu dem von Jacobs wie die metapsychologischen Schriften Freuds,
etwa Das Ich und das Es (1923b), zu seinen kulturtheoretischen, etwa To tem und
Tabu (1912–1913a). Mitchells Theorie spielt sich grösstenteils auf individueller,
metapsychologischer Ebene ab, während Jacobs im Bereich der Kulturpsychologie
arbeitet. Die Autorinnen beleuchten zwei Seiten derselben Medaille, wobei, wie
dargestellt, Jacobs mit dem Konzept des verborgenen, einverleibten Muttermordes
eine mögliche Erklärung dafür liefert, warum das Gesetz der Mutter noch nicht für
faktische (Geschlechter-)gleichheit sorgt. Diese Diagnose drängt die Frage auf, wie die Unterdrückung des Gesetzes
der Mutter in der heutigen faktischen Gesellschaft verhindert werden kann. So wie
Das Gesetz der Mutter 73
ich Mitchell verstehe, kann dies zum einen durch eine Pädagogik erreicht werden,
die aktiv die Gleichheit zwischen den Kindern fördert und eine parthenogenetische
Vermischung der kindlichen und elterlichen Ebene unterbindet, in welcher Kinder
vorgeben, bereits Eltern zu sein. Zum anderen kann dies im Anschluss an Jacobs
durch eine feministische Politik geschehen, die gesellschaftlichen Wandel fördert.
Bewegungen wie #MeToo und die Aufdeckungen diverser Missbrauchsskandale, ob
in Kirchen, staatlichen Schutzeinrichtungen und am Arbeitsplatz oder die Prozesse
gegen Harvey Weinstein und andere Prominente, tragen potentiell dazu bei, dem
Gesetz der Mutter zu seinem Recht zu verhelfen. Die feministische Rechtstheorie tritt für die verschiedenen feministischen
Kämpfe ein, die weltweit für körperliche und sexuelle Selbstbestimmung, Gleich-
berechtigung und gegen Gewalt sowie Diskriminierung geführt werden. Vielfach
fordert sie bereits ganz im Sinne des Gesetzes der Mutter, Frauen bzw. Mütter mit -
hilfe von feministischer Politik in die symbolische Rechtsordnung einzubeziehen. Liest man Jacobs zusammen mit Mitchell, bietet sich ein umfassendes Mo -
dell, auf dem eine feministische psychoanalytische Rechtstheorie fussen könn te.
Jacobs schlägt mit ihrer Theorie eine Brücke zwischen Mythos und realwelt-
licher Intervention. Dennoch begeht sie nicht den Fehler, die Mutter zu über -
idealisieren, sondern liest den Mythos, um dessen Mechanismen in bestehenden
«Einverleibungen» weiblicher Subjektivitäten aufzudecken und damit im nächsten
Schritt Veränderung zu ermöglichen. Das von Mitchell übernommene Konzept
der parthenogenetischen Phantasie kann hinzutreten, um präzise zu beschreiben,
warum Frauen kulturell abgewertet werden. Ob die verschiedenen, oben herausgearbeiteten Verbote des Gesetzes der
Mutter nun eins nach dem anderen in ein geschriebenes Gesetzbuch umgesetzt
werden, oder ob dafür gekämpft wird, dass die Stellung der Mutter und der Frau
in der Gesellschaft weiter in den Mittelpunkt gerückt statt an den Rand gedrängt
wird: In beiden Fällen wird das Gesetz der Mutter in Kraft gesetzt. Idealerweise
begünstigen sich diese beiden Mittel gegenseitig. Das Gesetz der Mutter kann also
das Recht im engeren, kodifizierten Sinn betreffen, das konkrete Ver- und Gebote
erlässt, aber auch die allgemeinen rechtlich geformten Strukturen der Gesellschaft,
z. B. in Bezug auf Verwandtschaft, Namensgebung oder Erbschaft.
Gemein ist allen drei Autorinnen, Morel, Mitchell und Jacobs, dass sie das
alleinige Gesetz des Vaters ablehnen und deutlich machen, dass auch das, was
die Mutter tut, Einfluss auf das Subjekt in der symbolischen Ordnung hat. Morels
Theorie holt sowohl das Gesetz der Mutter als auch das Gesetz des Vaters aus dem
Symbolischen heraus und verlagert sie an einen Punkt vor der Entstehung des
74 Cécile Huber
Symbolischen, das dann ein nicht-geschlechtsspezifischer Raum ist. Mitchell ver -
ortet das Gesetz der Mutter neben dem Gesetz des Vaters und betrachtet es somit
als bereits im Symbolischen enthalten. Jacobs schliesslich sieht das Gesetz der
Mutter als etwas noch Verborgenes, das wiedergewonnen werden muss, damit die
symbolische Ordnung so restrukturiert werden kann, dass sie Frauen vollständig
einschliesst. Alle drei beschriebenen Theorien entwickeln mittels einer selbstrefle-
xiven psychoanalytischen Praxis, sei sie klinisch oder kulturtheoretisch, Modelle
von Gesetzen der Mutter, die bestimmte, jeweils unterschiedliche Phänomene
erklären wollen. Der Begriff «Gesetz der Mutter» bei Morel beschreibt ein anderes
Phänomen als derselbe Begriff bei Mitchell und Jacobs. Steht man dem Unterfangen der pychoanalytischen Rechtstheorie, nämlich
Massstäbe von Richtig und Falsch aus der Psychoanalyse abzuleiten, – vielleicht
nicht zu Unrecht – skeptisch gegenüber, liefert Morels Arbeit dennoch interessante
Denkanstösse zu Queerness in der Psychoanalyse. Folgt man jedoch den Prämis-
sen der psychoanalytischen Rechtstheorie, ist die Frage nach einem «Gesetz der
Mutter» relevant, sofern dieses Gesetz tatsächlich auf die Struktur der Wirklichkeit
einwirken kann. Dann scheint es angebracht, seine Funktionsweise genauer zu
untersuchen. Neben väterlichen Ursprüngen des Rechts auch mögliche andere, etwa
müt terliche, Ursprünge zu beleuchten, scheint unerlässlich, um blinde Flecken
innerhalb der Rechtstheorie zu vermeiden. Mitchells und Jacobs’ Modelle kön-
nen der psychoanalytischen Rechtstheorie die Mutter als weitere Akteurin an
die Hand geben, wodurch eine umfassendere Perspektive erreicht wird. Darüber
hinaus könnte ein, wie vorgeschlagen, verstandenes Gesetz der Mutter auch dazu
dienen, Recht als zentrales Feld feministischer Politik (erneut) zu begründen.
Wie dargestellt erscheint ein Mitchell und Jacobs kombinierendes Modell für die
Zwecke einer Rechtstheorie, die sowohl vom psychoanalytischen als auch vom
feministischen Denken geprägt ist, vielversprechend. Im Rahmen der psychoana-
lytischen Rechtstheorie könnten jedoch nicht nur die Ursprünge des Rechts und
der Rechtsgeltung, sondern auch spezifischere Fragen betrachtet werden, die zum
Beispiel die Verbindung zwischen Recht und Begehren, die mit dem Recht ver -
bundenen Gefühle oder die Besonderheit von Verträgen, den Staat oder rechtliche
Institutionen betreffen. Eine entsprechende Rezeption und Ausbuchstabierung des
Gesetzes der Mutter, wie es Mitchell und Jacobs entwerfen, in einzelne juristische
Gebiete könnte eine Öffnung der klassischen psychoanalytischen Rechtstheorie
hin zu einer feministischen Neuentwicklung zusätzlich vertiefen.
Das Gesetz der Mutter 75
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Anmerkungen
1 Dieser Aufsatz basiert auf einer 2019 im Rahmen eines LL. M. in Rechtstheorie
ein ge reichten Magisterarbeit an der Goethe-Universität Frankfurt. Ich danke meinen
Be treuer*innen Andrea Maihofer und Thomas Vesting. Ausserdem gilt mein herzlicher Dank
Thiemo Strutzenberger, durch dessen Vermittlung aus meiner Arbeit dieser Artikel wurde.
2 Hier soll es weder um Fragen der Anwendung der Psychoanalyse vor Gericht usw.
gehen noch darum, rechtliche Phänomene in ihren psychischen Auswirkungen zu unter -
suchen, z. B. wie ein Gesetz Wünsche erzeugt, vgl. Caudill, 2016, S. 365, 374–76.
Das Gesetz der Mutter 77
3 Zwei kurze Bemerkungen zu den Problemen von Essentialisierung und Idealisierung
der Mutterfigur: Wenn ich von Müttern und Vätern spreche, beziehe ich mich auf Mutter-
und Vaterrollen, Funktionen oder Instanzen, die von verschiedenen Akteur*innen ausgeübt
werden können. Leider finden die vielfältigen Debatten über den Einfluss nicht traditioneller,
queerer Familienkonstellationen hier keinen Platz. Veränderte soziale Formationen verwan-
deln auch die psychischen Strukturen, was eine Chance für politischen Wandel eröffnet
(vgl. Stone, 2012, S. 6, 23, 27). Zweitens wäre es naiv, sich ein mütterliches Gesetz als intrin-
sisch besser als das väterliche vorzustellen. Hier soll es nicht darum gehen, ein Zeitalter des
Matriarchats zu erträumen oder eine ideale Urmutter herbeizuwünschen. Diese idealisier -
ten Bilder von Mütterlichkeit bleiben im patriarchalen Rahmen eingeschrieben, da sie der
Mutter einen Platz von Natur und Reinheit zuweisen, der eine Veränderung der symbolischen
Ordnung verunmöglicht.
4 Das Wort «Sinthome» ist eine alternative Schreibweise von «Symptom». Das Sinthom
bildet den Kern des Subjekts, der weder im Register des Realen, des Symbolischen noch des
Imaginären liegt, sondern das Subjekt zusammenhält und nicht direkt interpretierbar ist.
Es bildet sich als Reaktion auf das ambivalente mütterliche Begehren, ihre jouissance (vgl.
Thorston, 1996, S. 191). Wenn das Symptom nach Morel (2017) ein Zeichen eines Leiden ist,
stellt das Sinthom einen Weg dar, um mit diesem Symptom umzugehen bzw. es zu heilen,
aber es ist immer noch ein Symptom, vgl. S. 133.
5 Der Fall ist vereinfacht dargestellt, um die gesetzhaften Aspekte herauszuarbeiten.
6 Morel erarbeitet ihre Theorie des Sinthoms insbesondere aus klinischen Fällen
se xueller Ambivalenz und Trans- oder Homosexualität. Diese Phänomene versteht sie als
Reaktionen auf ambivalente mütterliche Worte (vgl. Morel 2017, S. 14). Wie Freud, der für die
Normalisierung sexueller «Abweichungen» warb, plädiert sie dafür, sexuelle Ambivalenzen
aus der klinischen Praxis heraus als normal anzusehen. Diese Beobachtung könnte man
wiederum nutzen, um eine liberale Gesetzgebung zu fördern; für eine queerfeministische
Lesart Morels, vgl. Perelson, 2018.
7 Mitchell zufolge führt das Gesetz der Mutter ausserdem eine Unterscheidung in
Bezug auf eine Gender-Differenz ein, indem die Mutter verdeutliche, alle Geschwister seien
für sie gleich, aber verschieden. Gender, also das gelebte Geschlecht, entwickeln sich für
Mitchell als soziales Phänomen im Kontakt mit Gleichaltrigen. Im Gegensatz zum Gesetz
der Mutter lege das Gesetz des Vaters, die mit Fortpflanzung verbundene sexuelle Differenz
fest, vgl. Mitchell, 2003, S. 127–129.
8 Der Geschwisterkonflikt und das Gesetz der Mutter setzen den ödipalen Prozess
in Gang: Durch die Ankunft des neuen Geschwisters fühlt sich das Kind traumatisiert und
wendet sich der Mutter zu, mit der es sich liebevoll identifiziert, um besänftigt zu werden.
Die Liebe zur Mutter wird dann durch das Eingreifen des Vaters unterbunden, vgl. Mitchell,
2000, S. 41, 332, 344.
9 Zeus wollte verhindern, dass Metis ein Kind bekam, weil ihm prophezeit wurde, dass
das Kind ein mächtiger Rivale sein würde, weshalb er versuchte, seine Tochter zu töten.
Angaben zur Autorin
Cécile Huber hat Philosophie, Jura, Rechtstheorie und Gender Studies in
München, Frankfurt am Main und Cambridge, Grossbritannien, studiert. Derzeit ist
sie als Wissenschaftliche Volontärin an der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
tätig. Ihr besonderes Interesse gilt der feministischen Psychoanalyse, der feminis-
tischen Rechtsphilosophie und der Kunsttheorie.
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