«Le psychanalyste et son baquet»1 – unter diesem Titel hielt Laplanche vor gut 40 Jahren zehn Vorlesungen zum Thema «Der Psychoanalytiker und sein Trog», womit er die psychoanalytische Situation zwischen Analytikerin und Analysandin meint. Seit seiner Publikation 1987 ist baquet (Trog) ein Begriff, der seither immer wieder in diversen französischen Wortvariationen in den Texten von Laplanche zu finden ist. Es ist ein zentraler Terminus, ohne den seine Übertragungsbegriffe schwierig zu verstehen sind. In der Übersetzung der Nouveaux fondements pour la psychanalyse, die 2011 erschienen ist, wird «baquet» auf Deutsch mit «Zuber» übersetzt. Ich bleibe beim Begriff des Troges, da dieser für mich weniger gegenständlich, sondern eher symbolisch anwendbar erscheint. In seiner Vorlesung vom 5. Dezember 1979 beschreibt er, wie er auf den Ausdruck «baquet» gestossen ist. Und zwar durch die Frage: Was spielt sich innerhalb einer Analyse ab? Gibt es ein ausserhalb der Analyse? Die Frage ist also: wie zeigen sich die Übertragungen der endlichen (innerhalb), wie jene der unendlichen (ausserhalb) Analyse? Der Trog ist ein Synonym für die hohlförmige Übertragung, auf die ich auch eingehen werde.
Journal für Psychoanalyse, 62, 2021, 26–42
Die Analytikerin und ihr Trog
Anna Koellreuter (Zürich)
Zusammenfassung: «Le psychanalyste et son baquet» 1 – unter diesem Titel hielt
Laplanche vor gut 40 Jahren zehn Vorlesungen zum Thema «Der Psychoanalytiker
und sein Trog», womit er die psychoanalytische Situation zwischen Analytikerin
und Analysandin meint. Seit seiner Publikation 1987 ist baquet ( Trog) ein
Be griff, der seither immer wieder in diversen französischen Wortvariationen
in den Texten von Laplanche zu finden ist. Es ist ein zentraler Terminus, ohne
den seine Übertragungsbegriffe schwierig zu verstehen sind. In der Übersetzung
der Nouveaux fondements pour la psychanalyse, die 2011 erschienen ist, wird
«baquet» auf Deutsch mit «Zuber» übersetzt. Ich bleibe beim Begriff des Troges,
da dieser für mich weniger gegenständlich, sondern eher symbolisch anwendbar
erscheint. In seiner Vorlesung vom 5. Dezember 1979 beschreibt er, wie er auf
den Ausdruck «baquet» gestossen ist. Und zwar durch die Frage: Was spielt sich
innerhalb einer Analyse ab? Gibt es ein ausserhalb der Analyse? Die Frage ist
also: wie zeigen sich die Übertragungen der endlichen (innerhalb), wie jene der
unendlichen (ausserhalb) Analyse? Der Trog ist ein Synonym für die hohlförmige
Übertragung, auf die ich auch eingehen werde.
Abbildung 1: Darstellung des Titelbilds
auf dem Buchumschlag von Laplanches
Werk «Problématiques V. Le baquet –
trans cendance du transfert», erschienen
1987 bei Presses Universitaires de France
(PUF).
© 2021, die Autor_innen. Dieser Artikel darf im Rahmen der „Creative Commons Namensnennung – Nicht
kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International“ Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0 ) weiter verbreitet werden.
DOI 10.18754/jfp.62.3
Die Analytikerin und ihr Trog 27
Schlüsselwörter: Laplanche, Psychoanalytische Situation, Übertragung,
Trieb theo rie
Einleitung
Das Schwerpunktthema «Innen Zwischen Aussen» des diesjährigen Jour
nal hefts liess mich sogleich an den Terminus baquet denken, wie auch an meine
an dern orts ausgeführten Überlegungen
2 dazu.
«Senna perd son baquet» – das war die Schlagzeile im Figaro vom 9. Juli
2010.
3 Das heisst: «Senna verliert seine Schale», womit sein Schalensitz gemeint ist,
sein Behälter. Oder im übertragenen Sinne: Er verliert seinen Vertrag. Im Klartext:
Er wurde aus dem Hispania Racing Team geschmissen. Bruno Senna – der Neffe des
berühmten dreifachen Formel1Siegers Ayrton Senna, der seinerseits 1994 tödlich
verunglückt ist – wurde aus seinem Sitz geschleudert, weil er nicht brachte, was
von ihm erwartet wurde, nämlich die durch seinen berühmten Namen erhofften
Sponsorengelder. Senna verliert seinen Schalensitz (sprich: Vertrag) und kommt
nicht mehr dazu, seine Kurven zu bewältigen. Dieses Ereignis diente mir damals als Metapher für die Situation der Analy
tikerin: Wird die Analytikerin aus ihrem baquet, oder Trog, katapultiert, ist sie nicht
mehr in der Lage zu analysieren. Im Laplanche’schen Wortschatz ist baquet ein zen
traler Begriff, der wie so manches bei ihm, auf vielfältige Weise übersetzt, gedacht
und gehandhabt werden kann. Auf Deutsch übersetzt heisst baquet Becken, Bütte,
Holzzuber, Zuber, Bottich, Schütte, Schale, Trog, Wanne, Behälter usw. Wie man
weiss, war Laplanches Passion für den Wein genau so gross wie seine Begeisterung
für die Psychoanalyse (vgl. Koellreuter, 2004; Mathey, 2004). Die halbe Woche in
Pommard, die andere Hälfte in Paris – Weinproduktion und Psychoanalyse in stän
diger Wechselwirkung: Der Weinbottich (baquet) kann daher als Sinnbild für die
analytische Situation verstanden werden, in dem sich die von ihm beschriebene
hohlförmige Übertragung abspielt (vgl. Laplanche, 1987). Im vorliegenden Text möchte ich darlegen, wie Laplanche zu diesem Be griff –
und auch zu einigen anderen aussergewöhnlichen Wortkreationen – gekommen ist,
wie z. B. zu den Bezeichnungen Potentialdifferenz im baquet, gefüllte und gehöhl te
Übert ragung oder Transzendenz der Übertragung wie weitere. Seine Texte sind
leichter zu verstehen, wenn man sich mit Laplanches eigenen Wortschöpfungen
befasst. Denn Neologismen, also sprachliche Neubildungen von Worten, waren
für ihn ein oft verwendetes Mittel, um einen Begriff möglichst genau zu beschrei
ben (vgl. Laplanche, 1996). Zusammen mit seinen Kollegen kreierte er bei der
28 Anna Koellreuter
FreudÜber setzung «eine bestimmte Anzahl von Neologismen» (vgl. Bourguignon
et al., 1989).
4 Laplanche wollte dennoch kein Fanatiker des Neologismus sein (vgl.
Laplanche, 1996), auch wenn dies für die Leserin oder den Leser oft so scheint.
Er erklärt:
Ein Neologismus in der Freud-Übersetzung ist ebenso eine wirkliche
Wort schöpfung (und man wird gewahr, dass reine Neuschöpfungen
sehr selten sind) wie auch, meistens, die von mir so genannte
«neo logisierende Verwendungsweise»: die Wiederbelebung alter,
außer Gebrauch gekommener Wörter oder einer aufgegebenen
Ver wendungsweise eines noch verwendeten Wortes. (Laplanche,
1996, S. 61)
Seine Wortkreationen haben ihren Ursprung in der Übersetzung des Freud
schen Gesamtwerkes, sind aber sicherlich auch eine Konsequenz seiner Analyse
bei Jaques Lacan, welcher seit den 1950er Jahren seinerseits unendlich viele neue
Wortschöpfungen in seinen Seminaren kreierte.
5 Laplanche (1996) versteht die
Übersetzung als
unausweichliches analytisches Modell, sobald es um die Bildung
des Seelenapparates geht, und um die Verdrängung, aber auch die
Deutung, die Sublimierung etc. Schließlich – mein «nolens volens»
führt mich dahin – Übersetzung als Modell des Triebs und als Trieb,
der mich leitet. (S. 46)
Dem Trieb zu übersetzen und der Lust zu übersetzen begegnen wir in La
plan ch es Texten auf Schritt und Tritt. Dies ist das Faszinierende an seinem Werk,
wel ches gleich zeitig auch auf die kulturellen Unterschiede zwischen der franko
phonen und germanophonen analytischen Denkweise hinweist.
Der Trog
Ich komme zurück zum baquet, dem Trog. Laplanche hat über «Die psy
choanalytische Situation» sowie zu «Der Psychoanalytiker und sein Trog» diverse
Texte verfasst. Die zwei Titel verschränken sich, indem er an verschiedenen Stellen
«Die psychoanalytische Situation – der Psychoanalytiker und sein Trog» mit einem
Bindestrich zusammenführt. Denn wenn die psychoanalytische Situation selbst
Übertragung ist, dann ist logischerweise die Analytikerin oder der Analytiker und
Die Analytikerin und ihr Trog 29
deren Trog wesentlich mitbeteiligt, damit die Übertragung überhaupt in Gang
kommt. Metaphern zum Trog
In seiner Vorlesung vom 27. November 1979 beschreibt Laplanche (1987,
S. 30), wie er auf den Ausdruck baquet gestossen ist. Was spielt sich innerhalb der
Analyse ab? Was ausserhalb der Analyse? Gibt es ein ausserhalb der Analyse? Dies
sei eine Frage, welche Analytiker sich stellen müssten. Gewisse Analytiker wür
den sich darüber hinwegsetzen, indem sie etwas zu eilig sagten: «Alles analysiert
sich» (« tout s’analyse », Laplanche, 1987, S. 30). Um diese Grenzen zwischen einem
Innen und einem Aussen zu symbolisieren, gelangt er zum Bild des baquet, des
Trogs. Seine Assoziationen führten ihn zu Anton Mesmer (vgl. Laplanche, 1987,
S. 30), der behauptete, dass eine ungünstige magnetische Verteilung im Körper
allerlei Krankheiten bewirke und er das Gleichgewicht dieses Magnetismus wieder
herstellen könne, indem er mit seinem Magneten über den Körper der Patienten
streiche. Er führte hypnotische Sitzungen durch, welche die Leute mittels anima
lischem Magnetismus
6 von ihren Krankheiten heilen sollten. Bald wurde er als
Scharlatan verschrien und zog von Wien nach Paris, wo er eine Praxis eröffnete und
in Kürze grossen Erfolg zeitigte, der in Einzelsitzungen nicht mehr zu bewältigen
war. Der Andrang wurde so gross, dass er Holzzuber mit Wasser, Eisenspänen und
Glassplittern füllte, um den Magnetismus von ihm auf diese zu übertragen und so
einer grösseren Anzahl von Menschen zuzuführen.
7
Man könne, meint Laplanche in seiner Assoziationskette, einerseits auch
an eine Art Batterie denken, genau gesagt an einen Behälter, in welchem sich
ver schiedene Elemente schichten, die einen Spannungsunterschied, eine Po ten-
tialdifferenz, hervorrufen würden (vgl. Laplanche, 1987, S. 30). Andererseits, wenn
man sich auf den «Beeinflussungsapparat» von Victor Tausk beziehe, könnte man
meinen, dass es sich bei diesem um einen lebenden Körper handle.
8 Freilich wäre
dies eine Art phantasmatischer Körper. Worauf es bei diesem Bild eines Körpers
jedoch an kommt, ist die Idee, dieses gegenständlich darzustellen, nämlich: um eine
Potentialdifferenz herzustellen ist ein Gefäss unverzichtbar. Gemäss Laplanche
liegen das hydraulische Modell – jenes eines baquet, welches die angestaute
Flüssigkeit, die mit Druck entweichen will, zurückhält – und das Modell einer
elektromagnetischen Batterie sehr nahe beieinander, einerseits für die Physiker,
aber in gewisser Weise auch für die Analytiker (vgl. Laplanche, 1987, S. 31). Mit
diesen Gedan ken zielt er in Richtung Triebdynamik in der Übertragungssituation,
die sich im baquet der Analytikerin abspielt.
30 Anna Koellreuter
Laplanches Ausführungen zum baquet sind gespickt mit metaphorischen
Bedeutungen. So war er frappiert vom Ausdruck “to kick the bucket”, was dem
französischen Ausdruck « casser sa pipe » entspricht. “To kick the bucket” ist ein
englisches Idiom und heisst: «sterben, verrecken, den Löffel abgeben» gleich sei
nem französischen Pendant. Er übersetzt den englischen Ausdruck jedoch wörtlich
und kommt zu: « donner un coup de pied et renverser le baquet » – also «den Trog
mit einem Fusstritt umkippen»
9 (Laplanche, 1987, S. 31). Deshalb sei der englische
Ausdruck vielsagender als der französische. Das Bild von « casser sa pipe » stammt
aus der napoleonischen Zeit, als in der Chirurgie eine Anästhesie nicht möglich
war. Man steckte dem Patienten eine Pfeife zwischen die Zähne, worauf er beissen
konnte, um die Schmerzensschreie zu unterdrücken. Wenn er unter dem Messer
verstarb, sagte man « il a cassé sa pipe », auf deutsch «er hat den Löffel abgegeben».
Eine komplexe anekdotische Geschichte, wie Laplanche bemerkt, und kehrt wieder
zu seiner Übersetzung des französischen Ausdruckes « renverser le baquet » zurück,
was bedeutet: der Trog wird umgeworfen, ausgeschüttet, und bewirkt in der Folge
das plötzliche und auch definitive Abfallen der Potentialdifferenz.
Von Potentialdifferenz, beziehungsweise Potentialunterschied
spricht man dann, wenn zwei oder mehrere Objekte zueinander
un ter schiedliche Potentiale besitzen. Eine Potentialdifferenz ist
also ein körperunabhängiges Maß für die Stärke eines Kraftfeldes
und beschreibt das Arbeitsvermögen eines Objektes in diesem.
10
(Laplance, 1987, S. 30, Hervorh. d. A.)
Bezogen auf die analytische Situation im Trog würde ich vom triebhaften
oder konflikthaften Innenraum sprechen. Die zwei Objekte (Analysandin und
Analytikerin) besitzen unterschiedliche Potentiale: die eine will etwas, die andere
versagt es ihr. Wenn dem nicht so wäre, wenn also der Inhalt des Troges verschüttet
ist, dann sind externes und internes Niveau ausgeglichen – die Abgrenzung des
baquet würde keine Bedeutung mehr haben. Es geschähe nichts mehr, pointiert
gesagt: das Triebleben würde stillgelegt. Ausgangspunkt für Laplanches baquetBegriff ist jedoch nochmals ein
anderer. Er stützt sich auf die Freudschen Modelle, welche sich oft auf das Bild
einer Umwallung (frz.: « enceinte ») beziehen: also ein Innenraum, der von einem
Aussenraum eingegrenzt wird. In «Jenseits des Lustprinzips» stellt Freud (1920g) sich den lebenden
Or ganismus «in seiner größtmöglichen Vereinfachung als undifferenziertes Bläs
Die Analytikerin und ihr Trog 31
chen reizbarer Substanz» (S. 26) vor. Dieses Bläschen mit seiner reizaufnehmenden
Aussenschicht «schwebt inmitten einer mit den stärksten Energien geladenen
Außenwelt und würde von den Reizwirkungen derselben erschlagen werden, wenn
es nicht mit einem Reizschutz versehen wäre» (Freud, 1920g, S. 26). Es ist also von
einer Schutzhülle umgeben, die den Innenraum abschirmt. Laplanche meint, dass
es eben dieser abgeschlossene Raum sei, welcher eine Potentialdifferenz zwischen
innen und aussen etabliere, und so dem Sexuellen, dem Triebhaften, Raum gebe.
In anderen Worten: Das Triebhafte zwischen Analytikerin und Analysandin kann
nur in diesem geschützten Innenraum, dessen Sinnbild der Trog ist, stattfinden.
Die Potentialdifferenz im Trog
Beim baquet wird also immer die Potentialdifferenz zwischen innen
und aussen angesprochen, wozu Laplanche (1987) zu diesem Denkmodell drei
Charakteristika anführt:
Das erste Merkmal dieses Denkmodells ist, nach dem eben gesagten
folglich, dass die Differenz zwischen innen-außen unerlässlich ist
und dass sie sich energetisch definiert. Es gibt keine Umhüllung
ohne Energie, die sie aufrecht erhält. Man denke an einen mit Luft
gefüllten Fußball: wenn er nicht aufgeblasen ist, d. h. wenn es kei-
nen Unterschied zwischen dem Innendruck und dem Aussendruck
gibt, dann verschwindet gleichzeitig die Idee der Umhüllung. Denn
die Umhüllung – als Abgrenzung des Innenraums nach außen –
erzeugt Spannung. Und umgekehrt ist – ohne das Vorhandensein
einer Umhüllung – keine Energie vorhanden, sprich Kapazität,
um eine Arbeit zwischen dem Außen und dem Innen zu produ-
zieren. Der Fußball bleibt schlapp und unbrauchbar. Energie ist
niemals anders erfassbar als in Gestalt einer Umhüllung. (S. 32 f.,
Hervorh. d. A.)
Ein zweites Merkmal dieses Freudschen Modells, welches Laplanche
um funktioniert, hat die Aufrechterhaltung der Konstanz auf seinem Niveau als Ziel
(vgl. Laplanche, 1987, S. 33). Dies nicht einfach im Sinne einer Batterie, sondern als
Batterie mit Aufladesystem oder genauer: mit Selbstregulation. Wenn das Niveau
sinkt, sei das System aufzufüllen; wenn aber zu viele Energien hineinströmen,
dann seien diese zu entleeren.
32 Anna Koellreuter
Schliesslich als drittes Merkmal, erwähnt Laplanche,
verteidigt sich […] dieses System baquet gegen Aggressionen, wel-
che insbesondere als Risse oder Einbruchstellen den Umhüllungen
zugefügt wurden. Das heißt: in dem Moment, in welchem sich ein
Riss in der Wand des baquet zeigt, können sich mehr oder weniger
katastrophale Modifikationen des Niveaus ereignen. (Laplanche,
1987 S. 33, Hervor. d. A.)
Als Beispiel eines Risses könnte die deplazierte Bemerkung der Analyti ke
rin lauten: «Ich bin nicht Ihre Mutter» (Laplanche, 1987 S. 33). Dann seien interne
Kräfte notwen dig, die sich den externen Kräften entgegenstellen müssten, um die
Einbruchstell en abzudichten. Hier drängt sich das Wort « défense », also Gegenwehr
auf, auf welchem Laplanche besteht, und nicht « résistance » ( Widerstand). Denn
es ist eine Schutzabwehr ökonomischer und dynamischer Art, bei der es darum
geht, den Kräften Gegenkräfte, dem Druck Gegendruck, entgegenzustellen (vgl.
Laplanche, 1987 S. 33).
Der Trog, die Analytikerin und die analytische Situation
Welche Bedeutung hat der Trog in der psychoanalytischen Situation? Wie
kommt die Analytikerin zu ihrem Trog? Und vor allem: wie bleibt sie drinnen? Als Erstes geht es um die Etablierung der Kur, der psychoanalytischen
Si tuation – im Sinne des contrat social von Rousseau, wie Laplanche beifügt –
welche nicht willkürlich sei und immer wieder neu hergestellt werden müsse. Es
handelt sich hier um die fixen Vereinbarungen, die bis zum letzten Moment der
Analyse eingehalten werden, d. h. «es gibt keinen Übergang zwischen der Analyse
und der Außer Analyse» (Laplanche, 2011, S. 189). Die Analyse spielt sich quasi
intramural ab, dazu brauche es nicht nur einen Fauteuil und eine Couch, sondern
vor allem auch eine geschlossene Türe! (Laplanche, 1987, S. 211; Hervorh. d. A.).
Zweitens ist gemäss Laplanche diese Errichtung der Kur ein reiner Trieb
ort oder ein Ort des Sexuellen. Denn innerhalb des Troges geschieht alles im
Zu sammenhang mit Sexualität, mit Liebe und mit Hass. Die auf Anpassung abzie
lenden Interessen (« intérêts adaptatifs ») werden zwar nicht ausgeschlossen, aber
tangentialisiert. Das heisst: sie werden beiseitegeschoben, bis sie das, was im Trog
geschieht, nur noch berühren oder streifen. Mit der Verweigerung der Analytikerin,
sich auf die Anpassungsebene zu begeben, z. B. indem sie Ratschläge erteilt, bleiben
die Anpassungstendenzen tangential und was sich im Trog abspielt, nämlich das
Die Analytikerin und ihr Trog 33
Sexuelle, Triebhafte, wird nicht gefährdet. Zusätzlich hilft auch der erste erwähnte
Punkt – die fixen Vereinbarungen – dabei, die Anpassungsneigungen auf eine tan
gentiale Ebene zu bringen. Hier wäre zu erwähnen, dass das Feld der Psychoanalyse durch seine wich
tigste Koordinate definiert wird: nämlich weder durch die Sprache noch durch
das Phantasmatische, sondern durch das Sexuelle (vgl. Laplanche, 1987, S. 148),
das allerdings auch phantasmatisch sein kann. Dies auf dreifache Weise: Erstens
finden wir sozusagen in allem, was in der Analyse besprochen wird, eine sexu
elle Bedeutung. Zweitens muss die erwachsene Sexualität immer wieder auf die
infantile Sexualität hin bezogen sein und drittens muss die Sexualität hier in ihrer
erweiterten Bedeutung angenommen werden, was von den Analytikerinnen selbst
oft vergessen wird. Denn die Sexualität ist nicht zu verwechseln mit der Genitalität.
Die von Freud entdeckten Sexualitäten werden klassischerweise anal, oral, phal
lisch, urethral usw. benannt. Die Vorstellung der Sexualität definiert sich ausserhalb
des Verhältnisses zu den genitalen Organen und dadurch auch des Verhältnisses
zur Konzeption (vgl. Laplanche, 1987, S. 148). Der Begriff der Sexualität wurde von
Laplanche als das Sexuelle, das Sexuale, das Unbewusste bezeichnet. Der dritte Punkt beinhaltet die analytische Situation als Wiederherstellung
des Ortes der Urverführung. Sie konstituiert die ursprüngliche Beziehung zum
Rätsel und seinem Träger, nämlich jenem, «dem Wissen unterstellt wird». Hier
zeigt sich das Wesentliche der analytischen Ethik im Zusammenhang mit der
Ge genübertragung, die Laplanche suspekt erscheint. Denn es geht nicht darum,
die Gegenübertragung zu beherrschen, zu gebrauchen, sich darin verstricken oder
affektiv berühren zu lassen. Sondern wichtig ist, dass die Analytikerin, als jener
der Wissen unterstellt wird
11, dieses Wissen verweigert – und zwar der Analysandin
gegenüber gleichermassen wie sich selbst. Ich möchte betonen: vor allem sich
selbst! Denn verweigert sie das Wissen nicht, verwickelt sie sich automatisch in
die Übertragung der Analysandin. Dies ist die zweite Verweigerung, nebst der
Ver weigerung, sich auf die Anpassungsebene einzulassen. Der eigentliche Motor
für die Analysandinnen wissen zu wollen ist, wie beim kleinen Kind, die Folge der
Zurückweisung des Wissens und zu wissen der Analytikerin (vgl. Laplanche, 1994).
Und schliesslich ist die Situation – der Trog – ein Ort der Haltung oder Fas
sung, im Französischen « contenance » , der dauernd gewartet oder unterhalten
werden müsse. Keinesfalls sei dies gleichzusetzen mit Winnicotts oder Bions con-
tainment!
12 Laplanche vergleicht das baquet mit einer Art Zyklotron, in welchem
die Teilchen mit beträchtlicher Geschwindigkeit beschleunigt werden. Ohne
Um wallung oder Umgrenzung würde der Zyklotron zur Wasserstoffbombe wer
34 Anna Koellreuter
den (vgl. Laplanche, 1994, S. 155)! Ich verstehe den Ausdruck contenance als «die
Fassung (oder auch die Selbstbeherrschung) bewahren» – egal was kommen mag.
Die Gelassenheit in schwierigen analytischen Situationen aufrechterhalten oder
die Contenance bewahren – wie man, mit Knigge (2006 [1796]), auch sagen kann. Im Folgenden nochmals die vier Kriterien, welche die analytische Situation
beschreiben: 1. Die festen Vereinbarungen, an welche sich beide Seiten zu halten haben.
2. Die Aufrechterhaltung des Sexuellen, Triebhaften in der Kur.
3. Die Weigerung der Analytikerin zu wissen und schliesslich:
4. Die Fassung bewahren, immer wieder neu.
Die analytische Situation besteht aus der «Psychoanalytikerin und ihrem
Trog» und, wir wissen, dass die analytische Situation selbst Übertragung ist. Für
Ida Macalpine und Daniel Lagache, auf welche Laplanche sich an diversen Stel
len immer wieder bezieht, wird die Übertragung durch die Analyse «hergestellt»
(La planche, 1987, S. 23, Hervorh. i. O.). Laplanche geht jedoch noch einen Schritt
weiter. Für ihn ist die analytische Situation eine Neuetablierung der Ursituation
(Laplanche, 1987, S. 29), und dadurch mit einer anderen Sichtweise verbunden.
13
Es folgt ein kurzer Exkurs zur Ursituation, Urverführung und rätselhaften
Botschaft, welche in der Übertragung eine Rolle spielen.
Die Etablierung der Ursituation im baquet
Mit Ursituation oder Urverführung ist die anthropologische Grundsituation
gemeint, jene, bei der jedes Kind von rätselhaften Botschaften der Eltern (oder
Erwachsenen) überflutet wird. Rätselhaft nicht im Sinne von mysteriös, sondern
vom zweiseitigen Erleben, wie Laplanche (1998) erklärt:
[D]er Erwachsene hat ein Unbewusstes, das insbesondere durch
die Beziehung zu diesem Winzling wachgerüttelt wird, der er selbst
gewesen ist. Botschaften, die meistens nicht verbal sind: Pflege,
Mimik, Gebärden, manchmal aber auch verbal. Botschaften, die
ich kompromittiert nenne, weil sie nicht nur ihren manifesten Sinn
übermitteln, sondern auch ihre Kompromittierung durch die unbe-
wussten Signifikanten: «Kompromittiert», genau wie dies Freud für
die Fehlhandlungen, das Versprechen, das Verschreiben, etc. gezeigt
hat. Rätselhaft sind sie für den Aufnehmenden nur, weil sie auch
rätselhaft für den Sender sind. (S. 615)
Die Analytikerin und ihr Trog 35
Also rätselhaft und nichtdekodierbar für beide Seiten. Fürsorge und Bin
dungsverhalten der Mutter sind in eine libidinöse Hülle eingebettet und ganz
und gar durchtränkt von ihrer Erotik und Liebe, aber auch von ihren unbewuss
ten Konflikten und Frustrationen. Beides wird vom Kind aufgenommen. Das
Einbrechen des sexuell Anderen, also des Diskurses der Eltern mit ihren eige
nen Verdrängungen und Konflikten in die organische Lebensordnung, ist für das
Neugeborene potenziell traumatisch. Ohne dass es dafür ausgerüstet wäre, ver
sucht das kleine Kind die rätselhaften Botschaften des Anderen oder der Anderen zu
übersetzen, sich anzueignen, zu symbolisieren. Es gibt da etwas, das zwischen den
Worten der Eltern liegt, d. h. es gilt zwischen den Zeilen zu lesen, wo das Be gehren
zu vermuten ist und für das es letztlich Worte zu finden gilt (vgl. Fink, 2005),
die jedoch so schwer zu finden sind. Genau das begründet die wesens mässige
Konflikthaftigkeit des Menschen und seiner Konflikte, mit denen wir es täglich
in der psychoanalytischen Arbeit zu tun haben, und die sich im Trog abspielen.
Die Provokation der Übertragung durch die Analytikerin
Was macht nun die psychoanalytische Situation aus, fragt Laplanche (1996)
und zählt die drei Funktionen der Analytikerin resp. des Analytikers auf:
Man kann es formulieren, es noch einmal formulieren: Ich habe
mich, mit dem Bild des Trogs, lange daran versucht. Hier werd e
ich drei Dimensionen vorschlagen, drei Funktionen des Ana-
ly ti kers und dessen, was er bewirkt: der Analytiker als Garant
der Konstanz; der Analytiker als Steuermann der Methode und
Be gleiter des Primärvorganges; der Analytiker als Hüter des Rätsels
und Provokateur der Übertragung. (S. 191)
Ohne die beiden ersten Funktionen ist Analysieren nicht möglich. Analy
sieren heisst auflösen aller psychischen, ichhaften, ideologischen und sympto
matischen Bindungen. Alles wird aus seinen Bindungen gelöst, alles Funktionale
wird ausgeschlossen, oder anders gesagt: entbunden. Dazu eine Illustration von
Pierre Passett (2007):
Wenn die Analysandin zu spät in die Stunde kommt und erklärt,
das Tram sei mit einem Auto kollidiert und nicht weitergefah-
ren, sie habe zu Fuss kommen müssen und darum sei sie zu spät,
dann bindet sie das Zuspätkommen und ihre Mitteilung davon
36 Anna Koellreuter
in einen vernünftigen Zusammenhang, den wir ausserhalb der
Analyse akzeptieren würden. Das Ereignis wäre gleichzeitig erklärt
und erledigt. Nicht so in der Analyse. Wir sind berechtigt, diese
Mitteilung aus ihrem Zusammenhang zu lösen, zu entbinden, als
ob sie damit nichts zu tun hätte und sie mit etwas völlig anderem
zu verbinden, z. B. mit dem Ende der letzten Stunde. «Als Sie letz-
tes Mal hier weggingen, waren Sie wütend auf mich», könnte der
Analytiker z. B. sagen. Wenn das der Chef zur Mitarbeiterin sagt, die
aus dem gleichen Grund zu spät kommt, liegt er völlig daneben und
die Angestellte wird das so empfinden. Nicht so die Analysandin.
Sie wird, wenn sie die Spielregeln einhält, auf diese Deutung mit
Einfällen reagieren und diese Einfälle werden ganz woanders hin
führen als zur Tramkollision, aber möglicherweise auch zum Ende
der letzten Stunde. Es werden Elemente zum Vorschein kommen,
die sonst verborgen geblieben wären und die werden sich vielleicht
ihrerseits in andere Zusammenhänge einordnen. Das ist al ler-
dings nicht der Fall, wenn der Analytiker etwa sagen würde: «Ihr
Zuspätkommen hat letztlich mit der Tramkollision nichts zu tun,
Sie kommen viel mehr zu spät, weil Sie mich bestrafen wollen,
nachdem Sie in der letzten Stunde über meine Deutung wütend
geworden sind», oder noch schlimmer: «Sie wollen mich kastrieren,
indem Sie meine Stunde verkürzen.
In diesem Fall analysiert der Analytiker nicht, er öffnet nichts, sondern er
verschliesst etwas, indem er dem be-wussten Sinn der Mitteilung der Analysandin
einen zweiten anderen, von ihm ge-wussten Sinn entgegenstellt. Das wäre im Sin
ne Laplanches keine Deutung, sondern Hermeneutik, wahrscheinlich schlechte
Hermeneutik. Laplanche (1998) sagt dazu
Hände weg von der Hermeneutik, von unserer Hermeneutik in
der Kur! Dabei handelt es sich um eine regulative Maxime, die
nur asymptotisch befolgt werden kann; eine andere Formulierung
wäre die von der «Versagung des Wissens» seitens des Analytikers.
(S. 617, Hervorh. i. O.)
Laplanches Text «Von der Übertragung und ihrer Provokation durch den
Analytiker» (1996) trug ursprünglich den Titel «Die gewöhnliche und die ausser
Die Analytikerin und ihr Trog 37
gewöhnliche Übertragung». Die Gedankengänge dieser Arbeit verdeutlichen die
Triebdynamik im Analyseprozess. Er unterscheidet die Analyse an der Übertragung
von der Analyse in der Übertragung. Freud sah die Übertragung als Übertragung
von ungelösten Konflikten, die zur Neurose führen. Folglich arbeitete er an der
Übertragung (s. auch bei Freud, 1937d). Demgegenüber sieht Laplanche in der
Übertragung die grössere Relevanz. Denn in der Übertragung spielt sich das
Triebhafte, Sexuelle ab. Es existieren dafür keine Worte, weil das Fremde, das
Sexuelle, nicht zu benennen ist. Es geht um das Bewusstsein und damit um das
Aushalten des eigenen Fremden, Triebhaften. Wird die innere Fremdheit abge
spalten, d. h. das Triebhafte verdrängt, dann beschränkt sich die Analyse auf die
Arbeit an der Übertragung, was identisch mit dem sekundärprozesshaften – und
nicht mit dem triebhaften – Geschehen wäre. Stagnationen im Analyseprozess
entstehen dort, wo die Primärprozesse unbewusst bleiben oder mit Laplanche
gesagt: wo die Beziehung zum Unbekannten nicht ausgehalten werde, weil es so
schwer fassbar sei und deshalb ängstige. Es gibt also für die Analytikerin die Unterscheidung, an der Übertragung
versus in der Übertragung zu arbeiten, was uns zu den Laplanche’schen Begriffen
der gefüllten und gehöhlten Übertragung führt.
Die gehöhlte und die gefüllte Übertragung
In seinem Kapitel « Le transfert » (1994) – die Übertragung – beschreibt
Laplanche die gefüllte und die gehöhlte oder hohlförmige Übertragung , wel
che nebeneinander stattfänden. Die gefüllte Übertragung ist diejenige, die von
Freud als typische Übertragungssituation beschrieben wird. Sie besteht in der
Wiederholung archaischer Situationen, die als Füllsel bei der Analytikerin depo
niert werden. Die gehöhlte Übertragung, welche in ständiger Wechselwirkung mit
der gefüllten Übertragung steht, bedeutet, dass das Hohle der Analysandin in der
Höhlung der Analytikerin untergebracht wird (vgl. Laplanche, 1996). Die Höhlung
der Analytikerin ist «die innere wohlwollende Neutralität unserem eigenen Rätsel
gegenüber» (Laplanche, 1996, S. 194). Das heisst, letztlich sind wir Analytiker
uns fremd und dieser unserer eigenen Fremdheit gegenüber offen. Bringt die
Analysandin ihr Hohles in die Höhlung der Analytikerin, bedeutet dies: Sie bringt
in der Höhlung der Analytikerin ihre eigene Höhlung unter, d. h. das Rätsel ihrer
ursprünglichen infantilen Situation wird bei der Analytikerin deponiert, ohne
gedeutet zu werden. Eben das ist die hohlförmige Übertragung – in welcher sich
das Triebhafte und Sexuelle abspielt. Auch hier erinnert die Metapher des Troges
an eine Höhle, einen geschlossenen Raum.
38 Anna Koellreuter
In der feministischpsychoanalytischen Literatur und Praxis ist oft vom
symbolischen Raum der Analytikerin die Rede, welchen sie der Analysandin zur
Verfügung zu stellen hat (bspw. N. Chodorow, J. Benjamin, C. Gilligan, C. Olivier).
Ob sich die Bedeutungen von Laplanches Höhlung mit jener der feministischpsy
choanalytischen Literatur decken, ist nicht ganz klar. Würde Laplanches Höhlung
als sexuell bezeichnet und der symbolische Raum als narzisstisch, dann wären die
Bedeutungsübergänge fliessend, d. h. beide triebhaft besetzt. Wird der symbolische
Raum jedoch als Raum zur Restaurierung des beschädigten Selbst verstanden, also
mehr im Sinne der Container Funktion, dann stehen sich die beiden Auffassungen
diametral gegenüber (vgl. Koellreuter, 2001). Die Analysandin sollte sich im Trog einquartieren können – um sich dort zu
öffnen und sich zu analysieren: «Analyse, das heißt die Lösung (…). Es gibt keine
Auflösung der Übertragung als solcher, es gibt eine Lösung oder Auflösung der
gefüllten Übertragung in die hohlförmige Übertragung» (Laplanche, 1996, S. 195).
So macht die hohlförmige Übertragung die Analyse der Füllsel möglich, ohne dass
sie aufgelöst werden muss – was auch gar nicht möglich wäre. Übertragungen verlaufen zyklisch, wiederholen sich damit regelmässig. Sie
sind nie beendet. In der hohlförmigen Übertragung enthalten die beiden Höhl
ungen, der Analytikerin und der Analysandin, die rätselhaften Botschaften der
jeweiligen Kindheit, welche dem Kind vom Erwachsenen übermittelt wurden. Es
sind eben diese sexuellen Rätsel, die der Erwachsene seinerseits nicht zu deko
dieren imstande ist. Schliesslich stellt sich die Frage, was mit der hohlförmigen Übertragung
am Ende einer Analyse geschieht. Dazu sagt Laplanche, dass die Analysandin ihre
«Übertragungsmöglichkeiten» welche sie in der Analyse gewonnen habe, an Orten
innerhalb und ausserhalb der Analyse anwenden und so ihr individuelles Schicksal
bestimmen könne. Denn:
Die hohlförmige Übertragung ist nicht das Resultat einer Ent-
wick lung oder eines Prozesses. Sie ist nicht nach den Kriterien
von Normalität und Abnormalität messbar. Sie ist die Grundlage
der Über tragung, ihre irreduzible Dimension von Alterität.
(Laplanche, 1996, S. 200, Hervorh. d. A.)
Was heisst: die unlösbare Dimension der eigenen Fremdheit – also niemals
lösbar! Oder anders formuliert: Es handelt sich um die nicht änderbare Tatsache,
niemals Herrin im eigenen Hause zu sein. Dies impliziert, dass das Triebhafte, das
Die Analytikerin und ihr Trog 39
Fremde in Wechselwirkung der Übertragungen von Analytikerin und Analysandin
immer wieder von Neuem zum Vorschein kommen muss. Geschieht dies nicht,
kommt es zur Spaltung. In der Abspaltung der eigenen inneren Fremdheit (= Alteri-
tät) liegt die Angst vor der äusseren Alterität, d. h. vor dem Fremden im Anderen
be gründet. Bekannt sind uns die Abwehrmechanismen des Fremden, des Sexuellen,
in Form von Überwindung der Differenz oder Angleichung an die Anderen (vgl.
K. Flaake, 1995, u. a. m.). Oder der umgekehrte Mechanismus kommt in Gang:
die Anderen werden ausgesondert oder auch vernichtet. Volkmar Sigusch (1984)
formuliert es dahingehend, dass die abgespaltene Angst vor dem eigenen Fremden
nicht mehr spürbar sei, damit einhergehend aber auch nicht mehr die sexuelle Lust.
Transzendenz der Übertragung
Noch einige Bemerkungen zur «Transzendenz der Übertragung» (transcen-
dance du transfert), was für Laplanche vor 40 Jahren nicht gleichbedeutend mit
der Begrifflichkeit von «Übertragung der Übertragung» war, wie ich das oben
be schrieben habe. In den Nouveaux fondements (1994) wird zwar transcendance
als Transzendenz übersetzt, aber es fehlen Laplanches Gedankengänge dazu, was in
ei ner Fussnote hätte erwähnt werden können. Denn es war eine andere Bedeutung
von ihm gedacht.
14 Weshalb er sich von dieser abgewendet hat, ist nicht so klar. 15
Denn die Transzendenz kommt in den Nouveaux fondements, sowie in seinen
späteren Texten nirgends mehr vor.
16
Der Ausdruck «Transzendenz» erscheint auch Laplanche merkwürdig,
wie er selbstkritisch meint (vgl. Laplanche, 1987). Trotzdem bleibt er dabei und
unterscheidet die zwei Begriffe «Transzendenz» und «Übertragung». Meinerseits
verstehe ich unter Transzendenz eine Raum und Zeitlosigkeit, also etwas, das
unsere Vorstellungskraft übersteigt. Laplanche (Laplanche, 1987) peilt aber etwas
ganz Bestimmtes damit an:
Der Elternteil ist für das Kind eher einer, dem Bedeutung denn
Wissen zugeschrieben wird. Es gibt eine ursprüngliche Übertragung
in der Kindheit – auch wenn diese in das Nebenprodukt Sexualität
mündet – und es gibt die analytische Übertragung, welche nicht
als eine Reproduktion, sondern als eine Wiederaufnahme dieses
Prozesses der ursprünglichen Übertragung zu verstehen wäre. Es
ist im Wesentlichen das, worauf ich anspiele, wenn ich von der
«Übertragung der Übertragung» [innerhalb der Kur, resp. des Tro-
40 Anna Koellreuter
ges; Anm. d. A.] und der Transzendenz der Übertragung [ausserhalb
des Troges; Anm. d. A.] spreche. (S. 309, Hervorh. i. O.)
Ich begreife die Transzendenz im Laplanche’schen Sinne als Transzen denz
der erwachsenen sexuellen Welt, die man als Kind nicht versteht und als Erwach
sene gleichfalls nicht. Und wie Laplanche in seinem Vorwort zur Transzendenz
in der Übertragung sagt: «genau diese Transzendenz selbst wird ausserhalb der
Kur übertragen» (Laplanche, 1987, S. 6). Das heisst, es gibt auch nach absolvierter
Analyse etwas ganz Grundsätzliches, das nicht verstanden wird – nämlich die
eigene Fremdheit und jene des Anderen. Oder um wieder auf den bekannten Alteritätsbegriff zurückzukommen, dass
ganz einfach der Andere anders ist, jedoch mit diesem Paradox
oder dieser Doppelsinnigkeit: Er ist anders als ich, da er anders als
er selbst ist. Die äussere Alterität verweist auf die innere Alterität.
(Laplanche, 1996, S. 184, Hervorh. i. O.)
Anders ausgedrückt: Das Fremde im Anderen weist auf das eigene Fremde
hin, das ängstigt, das nicht verstanden wird und deshalb nach aussen übertragen
wird.
Literatur
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durch Jean Laplanche. Brandes & Apsel.
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Bourguignon, A., Cotet, P., Laplanche, J., & Robert, F. (1989). Traduire Freud. PUF.
Flaake, K. (1995). Zwischen Idealisierung und Entwertung – Probleme der Per spektiven theoretischer Analysen zu weiblicher Homo und Heterosexuali
tät. Psyche, 49(9–10), 867–885.
Fink, B. (2005). Eine klinische Einführung in die Lacansche Psychoanalyse – Theorie und Technik. Turia + Kant.
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Freud, S. (1937d). Konstruktionen in der Analyse. GW XVI, S. 114–155.
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Die Analytikerin und ihr Trog 41
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von Jean Laplanche. Werkblatt, 52(1).
Mathey, E. (2004). Gespräch mit Nadine und Jean Laplanche. In Koellreuter, A. (Hrsg.): Faire travailler Freud. Festschrift zum 80. Geburtstag von Jean La -
plan che. Werkblatt, 52(1), 11–32.
Laplanche, J. (1987). Problématiques V. Le baquet – transcendance de transfer. PUF.
Laplanche, J. (1994). Nouveaux fondements pour la psychanalyse. PUF.
Laplanche, J. (1996). Die unvollendete kopernikanische Revolution in der Psycho- analyse. Fischer.
Laplanche, J. (1998). Die Psychoanalyse als AntiHermeneutik. Psyche, 52(7),
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Laplanche, J. (2011). Neue Grundlagen für die Psychoanalyse. Die Urverführung, aus dem Französischen von H.D. Gondek, herausgegeben von U. Hock &
J.D. Sauvant. Psychosozial Verlag.
Macalpine, I. (1972). L’évolution du transfert. Revue Française de Psychanalyse, 3,
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Passett, P. (2007). Unveröffentlichtes Manuskript zum Wartegg-Seminar «Das Den ken von Jean Laplanche».
Sigusch, V. (1984). Vom Trieb und von der Liebe. Campus Verlag.
Anmerkungen
1 Zu finden in: Laplanche, J. (1987). Problématiques V. Le baquet – transcendance de
transfert. PUF.
2 Der vorliegende Text ist eine überarbeitete Fassung des Vortrages, gehalten 2011 an
der Tagung «FreudLaplanche» der WPV und WPA in Wien.
3 Zufällig war dies der letzte Tag unseres zweijährlichen LaplancheTreffens, vom
7.–9. Juli 2010 im Burgund.
4 Das grosse Projekt der FreudÜbersetzung begann Laplanche 1988 zusammen mit
Kollegen, es ist noch nicht beendet. Im Text « Traduire Freud » (1989) wird die Arbeitsweise
der Autoren beschrieben.
5 Von Bénabou und Kollegen sind 2002 aus Lacans gesamtem Werk « 789 néologismes
de Jacques Lacan » zusammengetragen worden.
6 Mit animalisch ist menschlich oder «lebewesenmässig» gemeint. Mesmer selbst
sprach von tierischem Magnetismus.
7 Siehe auch http://www.noackhypnose.de/hypnoselexikonfranzantonmesmer.
htm [8.6.2020].
8 Was unter eine Verschwörungstheorie zu subsumieren wäre, nach welcher Wis sen
schaftler monströse Maschinen verwendeten, um Gedanken zu steuern.
9 Alle weiteren Zitatübersetzungen aus Problématiques V stammen von mir.
10 Siehe auch die Definition bei Wikipedia zu Potentialdifferenz [20.6.2020].
11 Ich verweise auf « sujet supposé savoir », ein von Lacan übernommener Begriff.
42 Anna Koellreuter
12 In Bions container nimmt – kurz gefasst – die Analytikerin das Unerträgliche der
Analysandin auf, formt es um in Erträgliches und gibt es in einem weiteren Schritt der
Analysandin zurück.
13 Die Übertragungsdiskussion von Laplanche mit Macalpine und Lagache wäre ein
eigenes Thema für sich.
14 Vgl. die von Hock und Sauvant herausgegebene deutsche Übersetzung von La plan che
(1994) zu Laplanche (2011, S. 197) oder auch Aichhorn (2019, S. 130). Letzterer übersetzte den
Titel « le baquet – transcendance du transfer » in «Der Trog, die Übertragung der Übertragung»
(S. 130), was meiner Meinung nach nicht gleichbedeutend mit Laplanches Transzendenz ist.
15 Dies entstammt einer persönlichen Mitteilung von Christophe Dejours, Präsident
des Wissenschaftsrates der Fondation Laplanche und durch seine enge Zusammenarbeit
mit Laplanche seit Jahrzehnten fundierter LaplancheKenner.
16 Zu vermuten ist, dass Laplanche sich nach seiner Auseinandersetzung mit Lacan
in den 1970er Jahren zunehmend von diesem distanzierte und inhaltlich eigene Wege ging.
«Leben und Tod in der Psychoanalyse» erschien 1970 in Paris und 1985 erstmals in deutscher
Sprache mit dem Vermerk: «Ein Buch aus der LacanSchule im Walter Verlag».
Angaben zur Autorin
Anna Koellreuter, Dr. phil., Psychoanalytikerin in eigener Praxis in Zürich,
Mitglied Psychoanalytisches Seminar Zürich, bis 2019 in der Redaktion «Werkblatt.
Zeitschrift für Gesellschaft und Psychoanalyse». Publikationen zur Analytikerin
im Analyseprozess und zur Triebdynamik in der Analyse, u. a. erschienen im Psy
cho sozial Verlag «Das Tabu des Begehrens. Zur Verflüchtigung des Sexuellen in
Theorie und Praxis der feministischen Psychoanalyse» (2000) und «Wie benimmt
sich der Prof. Freud eigentlich? Ein neu entdecktes Tagebuch von 1921 historisch
und analytisch kommentiert» (2010).