Dass sich ein über 350 Seiten starkes Buch mit dem Untertitel Eine Kritische Theorie nur auf zusammengerechnet zwei Seiten mit Adorno und Horkheimer beschäftigt, liesse sich noch durch das Selbstverständnis, sich auf Autoren der «Neueren Kritischen Theorie», insbesondere Habermas und Honneth, zu beziehen, ansatzweise entschuldigen.
Das Verbinden von Psychoanalyse und Soziologie aber als Projekt der Kritischen Theorie «seit je» auszugeben, lässt, wie an vielen anderen Stellen auch, tatsächlich fragen, inwieweit die Arbeiten der ersten Generation Kritischer Theorie überhaupt zur Kenntnis genommen wurden. Weist beispielsweise Adorno noch am Beispiel Parsons den Versuch, psychologische und gesellschaftstheoretische Termini harmonisch zusammenzubringen, mit Nachdruck zurück, ist gar eine «Verschmelzung beider Wissenschaften über philosophisch grundierte Termini, die nach Belieben zur jeweiligen Seite hin […] wieder aufgelöst werden [können]» (S. 13), gerade das Projekt Zettlers.
Gelingt noch die Verbindung psychoanalytischer Theoretiker durch die von Zettler betonten differenzierenden und entdifferenzierenden Strukturphänome des masslosen Gemeinsamen und bemessenen Einsamen, gerinnt die Anwendung auf gesellschaftstheoretischer Ebene teils zu sozialromantischem Kitsch, der mit der Kritik kapitalistischer Vergesellschaftung der Kritischen Theorie nichts zu tun hat, teils in krudeste Aussagen über Gewalt und Destruktivität, sodass schliesslich «die Okkupation und Verzerrung des eigentlich inklusiven, maßlos Gemeinsamen» (S. 231) die Erklärung des Faschismus darstellen soll. Sharing Economy und Gemeinwohlökonomie, «Natur-Völker», das bedingungslose Grundeinkommen, die Klimabewegung im Allgemeinen, der Hambacher Forst im Besonderen: All die dortigen Akteure stehen für «Oasen des Gemeinsamen», die als Gemeinschaften ein «quasi-organisch Verbindendes zwischen den Vielen sowie zwischen den Vielen und ihrer Umwelt und Welt» herstellen könnten (S. 229). Das bemessene Ein same, der Thanatos, steht demgegenüber hinter allen Erscheinungen des Bösen, von Exklusion und Ausgrenzung über Versklavung und Krieg zu Faschismus und Holocaust.
Die Verbindungen dieser wie auch anderer Phänomene – und dies muss man leider für das gesamte Buch konstatieren – ist zu grossen Teilen masslos, assoziativ und eklektizistisch. Ob Psychoanalyse und Soziologie, Neo-Marxismus und Neo-Freudianismus (S. 98), Intersubjektivitäts- und Netzwerktheorie, alles wird amalgamiert, Ebenen unvermittelt gewechselt, Analogien überstrapaziert, Assoziationsketten gespannt, wo es das Material zulässt, um alles unter die dichotome Brille des Verbindens und Bemessens zu bringen. Versöhnlich stimmt einzig, dass trotz der Diagnose einer non-ödipalen, Kapitalismus und Sozialismus verschmelzenden Spätmoderne (S. 297) mit ihren Subjekten, die in mancherorts technizistisch anmutender Sprache Zettlers zu «Netz werkknoten» (S. 197) werden, die in allen Belangen zuzustimmende Hoffnung aufscheint, dass es Subjekte geben könnte, bei denen weder Körperpanzer noch Konturlosigkeit einseitig, sondern ein nicht gekannter Grad an Fähigkeit zur transformatorischen Wechselbeziehung beider, siege.