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Buchbesprechungen

Marianne Leuzinger-Bohleber, Robert N. Emde, Rolf Pfeifer (Hrsg.) - Embodiment: Ein innovatives Konzept für Entwicklungsforschung und Psychoanalyse

Regula Schiess

Buchbesprechung

Erschienen im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013.


Marianne Leuzinger-Bohleber, Robert N. Emde und Rolf Pfeifer (Hrsg.): Embodiment: Ein innovatives Konzept für Entwicklungsforschung und Psychoanalyse (Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013) Regula Schiess (Zürich) Das vorliegende Buch ist das Resultat der Joseph Sandler Research Conference 2013 in Frankfurt am Main, der wichtigsten Forschungskonferenz der International Psychoanalytic Association (IPA). Zusammen mit dem von Peter Fonagy gegrün- deten Research Training Programm in London soll die Konferenz, so wie dereinst Sandler dies anstrebte, Brücken zwischen psychoanalytischen Klinikern und Forschern bauen und «dazu beitragen, die Psychoanalyse in der heutigen Welt der Wissenschaften und der breiten Öffentlichkeit auf neue Weise zu verankern» (S. 10; siehe verschiedene Vorträge der Sandler Conference auf: http://www.youtube.com/ results?search_query=sandler+conference+2013&sm=12, Zugriff am 16.2.2014). Wie werden diese Ziele angestrebt? Die zu Wort kommende internatio- nale Autorenschaft, bestehend aus zumeist psychoanalytisch ausgebildeten Fachkräften, kommt aus den Arbeitsfeldern der Psychoanalyse, Erwachsenen- und Kinderpsychotherapie, Psychiatrie, pädagogischen Psychologie, den Erziehungswissenschaften, der Neurophysiologie und, was bei Marianne Leuzinger- Bohleber, einer der drei HerausgeberInnen, nie fehlt, seit sie diesen transdiszipli- nären Dialog in den 70er Jahren begonnen hat: der Embodied Cognitive Science, beziehungsweise der Robotik, so wie sie vom Informatiker Rolf Pfeifer, dem zweiten Herausgeber, mitentwickelt und vertreten wird. In Teil I geht es um die Diskussion psychoanalytischer Modellbildung – «concept research» – im Dialog mit der sehr breit angelegten Grundlagenforschung der Embodied Artificial Intelligence und diverser neurowissenschaftlicher Arbeitsrichtungen. Konkret geht es hier um jene des «Spiegelneuronenforschers» Vittorio Gallese, seines Zeichens Neurophysiologe an der Universität Parma, der Neurobiologin Helena Rutherford vom Yale Child Study Center und anderen. Im Zentrum steht die Gegenüberstellung eines psychoanalytischen Einbeziehens des Körperlichen in der klinischen und extraklinischen Entwicklungspsychologie einer - seits, und andererseits eines aus der Embodied Cognitive Science stammenden, Buchbesprechungen 150 Regula Schiess hier endlich einmal präzis gefassten Embodimentbegriffs (S. 16–19) sowie von Ergebnissen neurowissenschaftlicher Forschung. Es ist von einem «innovativen fremden Blick auf das Eigene» die Rede (S. 40). Die Überlegungen zur Theorie von Teil I machen in Teil II einer engagierten Präventionsforschung im Säuglings- und Kleinkinderbereich Platz. Eine ganze Reihe von psychoanalytisch inspirierten Projekten für schwangere Frauen, Säuglinge und Kleinkinder aus armen und benachteiligten Familien wird vorgestellt. Kleine Kinder und ihre Familien erhalten in verschiedenen Ländern wenn nötig institu- tionelle, einzeltherapeutische und/oder familientherapeutische Unterstützung. Gleichzeitig werden diese Bemühungen forschend begleitet und schlagen sich in Datensätzen nieder, die schliesslich erlauben, die Entwicklungsunterschiede und das Wohlbefinden zwischen unterstützten und vergleichbaren nichtunter - stützten Kindergruppen aufzuzeigen. Die Daten erlauben noch in 20 und mehr Jahren Nachuntersuchungen und können so in Kohortenstudien einbezogen wer - den. Prof. Robert N. Emde, der dritte Herausgeber, ist Psychoanalytiker und ein in der Entwicklungs- und Präventionsforschung weltweit bekannter und tätiger Kinderpsychiater. Er arbeitete als Forscher und Berater bei den Programmen des National Infant Mental Health Instituts (NIMHI) der USA mit: Programme, bei denen es um die flächendeckende Förderung von Kleinkindern und Vorschulkindern aus sozial benachteiligten Familien geht (http://en.wikipedia.org/wiki/Early_Head_ Start , sowie: http://www.zerotothree.org/about-us/board-staff/robert-emde-bio. html, Zugriff am 16.2.2014). So bietet das Buch gleichzeitig eine Einführung in disziplinübergreifende theoretische Fragen, gibt jenen, die sich für Prävention im Frühkinderbereich engagieren eine Diskussionsgrundlage und eine Übersicht über diverse zugehö- rige Forschungsprojekte und – wie Teil III aufzeigt – wird auch der psychoana- lytischen klinischen Arbeit Tribut gezollt: Dort sind das «Heilen und Forschen» zu Hause. Es wird eine Kinder- und eine Erwachsenenanalyse referiert, die sich beide dazu eignen, über Embodiment-Vorstellungen nachzudenken. Eine der Fallstudien ist von Siri Erika Gullestad, Professorin für Klinische Psychologie an der Universität Oslo und Psychoanalytikerin in eigener Praxis. Sie referiert ihren Fall unter dem Titel «Die Seele im Körper entdecken». Gullestad möchte damit ihre Rolle als einer Zuhörerin betonen, die immer auch den Körper des Patienten und seine Körperhaltung beobachtet. Sie versucht die Körpersprache «zu hören», denn der Körper «spricht». Diese beobachtende Perspektive in der Psychoanalyse ist von Wilhelm Reich beeinflusst, der am Vorabend des zweiten Weltkriegs nach Norwegen geflüchtet ist. Die Autorin erkennt die unterschiedlichen Charakterstile Journal für Psychoanalyse 55 Embodiment (Marianne Leuzinger-Bohleber et al.) 151 in der Körperhaltung und den muskulären Bewegungsmustern, Gesten, der Mimik, Intonation usw. Doch wie wir aus der klinischen Erfahrung wissen, sind alle diese Wahrnehmungen unserer Fernsinne nicht genug, um die psychische Realität unserer Patienten zu erfassen: Dazu kommen Empathie als Wahrnehmungsform und das Beachten der eigenen körperlichen Befindlichkeit – beides gehört zur Gegenübertragung. Und hier entdecken wir die fremde Seele im eigenen Körper. Als Gesellschaftsmitgliedern und Repräsentanten eines aufklärerischen Dialogs wird heute von den Psychoanalytikern und von der psychoanalytischen Arbeitsrichtung verlangt, so wie dies Freud zu seiner Zeit unternahm, zu allen an Psychotherapie angrenzenden Themenkreisen Brücken aufrechterhalten. Das vorliegende Werk zeigt eindrückliche Möglichkeiten auf, wie das gemacht werden kann. Buchbesprechungen