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Buchbesprechungen

Josi Rom – Schizophrenien: Wissen – Verstehen – Handeln. Brücken bauen zwischen Wahnwelten und Realität

Julia Braun

Buchbesprechung

Erschienen im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013.


Buchbesprechungen Josi Rom: Schizophrenien: Wissen – Verstehen – Handeln. Brücken bauen zwischen Wahnwelten und Realität (Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013) Julia Braun (Zürich) Quantenphysik als Metapher für Psychosentherapie. Einen transdiszi- plinären Zugang zu einem vertieften Verständnis schizophrener Menschen als Beitrag zu einem erfolgreichen Beziehungsaufbau zwischen Therapeut und Patient schlägt Josi Rom, Psychoanalytiker in eigener Praxis in Winterthur, in seiner zweiten Publikation mit Schwerpunkt Schizophrenie vor. Rom, ehemals Leitender Arzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Littenheid, wirkt als Dozent am Psychoanalytischen Seminar Zürich (PSZ) und im Rahmen der Überregionalen Psychosenpsychotherapie Symposien in Berlin und München, die einen schulenübergreifenden Diskussionsraum bieten. Ein weiterer Bezug Roms zu dieser Thematik wird durch seine Tätigkeit als Supervisor in ver - schiedenen Kliniken deutlich, in denen Therapeuten unterschiedlicher Schulen arbeiten. Seit Jahrzehnten beschäftigt sich der Buchautor intensiv mit der psycho- analytischen Psychotherapie von psychotisch erkrankten Menschen. Roms erstes Buch «Identitätsgrenzen des Ich», im Jahr 2007 veröffentlicht, ist der Behandlung schizophrener und borderlinekranker Menschen gewidmet. «Schizophrenien: Wissen – Verstehen – Handeln» versteht Rom als Erweiterung seines Erstlingswerks. Sein zweites Buch schrieb Rom in der Absicht, die konstruktive interdiszipli- näre Auseinandersetzung zwischen Fachpersonen zu fördern, um eine respektvol- lere Begegnung untereinander und damit auch mit den schizophren-psychotischen Menschen zu erzielen. Ausgangspunkt ist Roms irritierte Beobachtung einer fort- schreitenden Rivalisierung innerhalb der Psychiatrie und Psychotherapie. Eine Buchbesprechungen 142 Julia Braun Spezialisierung der wissenschaftlichen Bereiche bringe zwar wertvolle Erkenntnisse mit sich, führe aber sowohl zu einer Distanzierung der Disziplinen voneinander als auch zu einer Entfernung der Therapeuten von einem menschlichen Zugang zu ihren Patienten (vgl. Rom, 2013, S. 223). Rom gliedert sein Buch in die drei im Buchtitel enthaltenen Kapitel «Wissen, Verstehen, Handeln». Das Kapitel «Wissen» beschäftigt sich mit allgemeinen Forschungsfragen und speziellen Fragen aus der Psychiatrie und Psychotherapie. Das Wissen über Schizophrenien unterscheidet Rom in Aussen- und Innenposition, die sich zueinander häufig inkompatibel verhalten, obschon beide einer relativen Wahrheit entsprechen. Aussenpositionen wie beispielsweise Neurobiologie oder bildgebenden Verfahren ist gemeinsam, dass sie lediglich eine Teilperspektive abbil- den. Sie beschreiben das Verständnis der Welt, wie nicht psychotische Menschen sie erleben, während die Innenposition das Wissen schizophrener Menschen über sich selbst beziehungsweise um ihre psychotische Innenwelt umfasse. Zu Beginn der Behandlung könne auch der Psychotherapeut, den der schi - zophrene Mensch oft nicht nur als Helfer, sondern gleichzeitig als Bedrohung wahrnehme, lediglich eine Aussensicht einnehmen. Um einen schizophrenen Menschen in seiner eigenen inneren Welt verstehen zu können, sei es aufgrund seiner extremen Verschlossenheit vor allem anderen notwendig, ihn als Partner zu gewinnen. Die einzig mögliche Brücke zu ihm sei die, mit ihm als Subjekt in einen Dialog zu treten. Rom generiert hier den Begriff des Psychodialogs. In diesem Dialog zwischen Therapeut und Patient stehen deren anfänglich inkompatible Realitäten gleichbe- rechtigt nebeneinander. Wenn der Therapeut die Bereitschaft habe, eine Brücke zur Realität des schizophrenen Menschen zu bauen, dann sei die Möglichkeit gegeben, dass es der schizophrene Mensch nach langer Therapie wagen werde, die Brücke zu betreten, um zu lernen, sich in unserer, ihm fremd gewordenen Welt besser zurecht zu finden. Die Innensicht des Patienten ist nach Rom notwendige Voraussetzung, damit sich Therapeut und Patient zusammen dem Verstehen ihrer unterschiedlichen Welten annähern können. Dies geschehe über die Bildung einer gemeinsamen, provisorischen dritten Welt. Im Kapitel «Verstehen» zeigt Rom anhand umfangreicher Ausführungen zu Makrophysik und Quantenphysik, dass eine gute Zusammenarbeit zweier Bereiche trotz unauflösbarer Widerstände ein vertieftes Verstehen unseres Universums ermöglicht. Während der Leser beispielsweise den Gedanken «Zeit ist relativ» bezüglich Einsteins Relativitätstheorien der klassischen Physik noch gut nach- vollziehen kann, begegnet er im Beispiel der Verschränkung der Quantenphysik Journal für Psychoanalyse 55 Schizophrenien: Wissen – Verstehen – Handeln ( Josi Rom) 143 einer «verrückten», nur schwer vorstellbaren Welt. Diese Denkerfahrung des Lesers ist vergleichbar mit der des Therapeuten, wenn er sich vorzustellen ver - sucht, wie ein schizophrener Mensch seine Welt erlebt. Roms Erläuterungen dieser «Verrücktheiten» sollen eine Sensibilität beim Leser schaffen und ihn ermutigen, Ungewissheiten auszuhalten, statt ausschliesslich nach durch Neurobiologie und bildgebende Verfahren suggerierten Sicherheiten zu streben. Der Fokus im Kapitel «Handeln» liegt auf der Situation der Fachpersonen, die sich mit schizophrenen Menschen befassen. Ausgehend von seiner Kritik an der gängigen Fortbildungspraxis stellt Rom ein disziplinübergreifendes Fort- bildungskonzept vor, das eine gleichberechtigte und wertschätzende Form des Umgangs aller an der Fortbildung Beteiligten untereinander beinhaltet. Es soll eine Wiederannäherung der Beteiligten in den Bereichen Wissen, Verstehen und Handeln bewirken und beispielsweise auch Nichtpsychoanalytikern einen Zugang zur Innenposition des Betroffenen ermöglichen. So könnten Brücken innerhalb der therapeutischen Landschaft und damit zu den schizophrenen Menschen gebaut werden. Der Text richtet sich nicht nur an psychoanalytisch orientiert arbeitende Therapeuten, sondern dem Anliegen des Autors entsprechend auch an Forscher verschiedener Disziplinen, deren Tätigkeit in irgendeiner Weise die Thematik «Schizophrenie» berührt. Schön ist, dass sich das Buch implizit an alle Menschen richtet, weil wir alle immer wieder fremden, unseren eigenen widersprechenden Wahrnehmungen begegnen. Die Lektüre des Buches zeigt also auch ganz allgemein Wege zum Verständnis fremden Denkens auf. Dem heterogenen Zielpublikum entsprechend ist der Text in einer wissenschaftlich-persönlichen Sprache verfasst. Die anschaulichen Falldarstellungen und Beispiele unterstützen das Verständnis zusätzlich. Rom verspricht, dass sich dem Leser eine «unglaubliche Welt» auftun würde, wenn er die Bereitschaft habe, sich auf das Neue, beispielsweise die Vorstellungen der Quantenphysik oder die Innere Welt eines schizophrenen Menschens einzu- lassen. Ob das Versprechen einlösbar ist, hängt im Wesentlichen von dem Ausmass der Bereitschaft dazu ab. Es mag für einen Psychoanalytiker eine besondere Anstrengung bedeuten, sich derartig in die Vorstellungen der Physik zu vertiefen. Rom nimmt jedoch auch hier immer wieder Bezug zum Thema Schizophrenien, indem er überraschende Parallelen und damit Anstösse aufzeigt, das eigene Denken vergleichbar mit der Akzeptanz naturwissenschaftlicher Rätsel zu erweitern. Im Rahmen seiner Ausführungen zum Phänomen der Zeit konstatiert Rom die mög- liche Synchronizität mit der Welt der schizophrenen Menschen beispielsweise so: Buchbesprechungen 144 Julia Braun «In manchen Zuständen subjektiven Erlebens können mehrere Zeiten gleichzeitig nebeneinander, übereinander oder sich vermischend bestehen. Die Zeit kann stehen bleiben oder rückwärts laufen» (Rom, 2013, S. 143). Mit seinem Forschungsmodell im letzten Kapitel hat Rom der Verwirk - lichung seines selbst gesetzten Zieles, die konstruktive Auseinandersetzung von Fachpersonen verschiedener Disziplinen sowie das Befassen mit den jeweils anderen Sichtweisen zu fördern, schon einen soliden Boden bereitet. Insofern hält das Buch durchaus, was es verspricht. Die vorgeschlagene Methode ist der Fragestellung angemessen. Offen bleibt, inwieweit dieses auf Gleichberechtigung und Wertschätzung ausgerichtete Fortbildungsmodell in der heutigen Zeit gegen die gegebenen äusseren und inneren Widerstände umzusetzen ist. «Die Psychosentherapie ist die Quantenphysik der Psychoanalyse. Die nor - malen Regeln der Psychoanalyse funktionieren nicht mehr.» Welches Umdenken Rom mit dieser mündlichen Aussage meint, wird durch das Lesen seines Buches auch aufgrund der geforderten Vertiefungsbereitschaft regelrecht erfahrbar. So liegt in der Anstrengung, die es vom Leser fordert, gleichzeitig das Potenzial des Buches. Journal für Psychoanalyse 55