Zum Hauptinhalt springen

Buchbesprechungen

Daniel Strassberg – Der Wahnsinn der Philosophie: Verrückte Vernunft von Platon bis Deuleuze

Dragica Stojkovic

Buchbesprechung

Erschienen im Verlag Chronos, Zürich, 2013.


Daniel Strassberg: Der Wahnsinn der Philosophie: Verrückte Vernunft von Platon bis Deuleuze (Chronos, Zürich, 2013) Dragica Stojkovic (Zürich) Daniel Strassberg, Psychoanalytiker, Psychiater und Philosoph, wagte es, die Geschichte der Philosophie entlang des Grats des Wahnsinns neu zu erzählen, und erhielt dafür den Missing Link Preis 2013. In elf Kapiteln – davon sind neun eng an Lebensgeschichten berühmter Philosophen (Platon, Bruno, Rousseau, Kant, Hegel, Nietzsche, Lacan, Foucault, Deleuze) geknüpft – werden dem Leser Variationen eines Narrativs des Scheiterns vorgeführt: dem Versuch, Vernunft und Wahnsinn distinkt zu trennen sowie den Wahnsinn aus dem Gebiet der Philosophie zu verbannen. Nebst Nietzsches poetisch-performativer «Lösung» des Problems «Wahnsinn», gewähren auch Foucault und Deleuze dem Teufelsbraten eine beson- dere Funktion in ihrem Denken, indem sie ihn bewusst zum konstitutiven Element ihrer Philosophie ernennen – und sich damit neue Probleme einhandeln. Strassbergs Text geht, an einer chronologisch präsentierten Geschichte der Philosophie orientiert, nicht nur dem Grund dieses Scheiterns nach, sondern kreist auch um die Frage, woher sich die unermüdliche Kraft speist, die misslingenden Rettungsversuche einer «reinen Vernunft» stets von neuem zu wiederholen. Das Buch bietet Philosophen, Psychiatern, Psychoanalytikern, Philosophieinteressierten und sonstigen breit gebildeten Laien eine flüssig und mit reichlich Genuss les- bare Einführung in die – bzw. eine mögliche – Philosophiegeschichte. Dabei ver - zichtet der Text auf billige Psychologisierungen philosophischer Werke und/oder Biografien derer Autoren, sondern nutzt die lebensgeschichtlichen Eckdaten und Anekdoten, um Wechselwirkungen von Werk und Biografie im Sinne einer pro- duktiven Verknotung aufzuzeigen. Eine narrativ dargebotene Philosophiegeschichte hat ihren Preis: Manchmal kommen alternative Auslegemöglichkeiten theoretischer Prämissen nicht (genü- gend) zu Wort, bleiben in ihrer Funktion für die von Strassberg konstruierte Erzählung eingeengt. Zudem weckt die Lektüre von Zeit zu Zeit den – zugegebe- nermassen paradoxen – Wunsch, eine klarere, sich über das Buch erstreckende (um nicht zu sagen: totale) Definition des Wahnsinns zu erhalten. Während sich dem Leser im Rahmen eines Kapitels erschliesst, was beim betreffenden philoso- Buchbesprechungen 156 Dragica Stojkovic phischen Werk unter den Begriff «Wahnsinn» subsummiert wird, kann sich beim Vergleich verschiedener Kapitel durchaus Ratlosigkeit einstellen: Sind irrationale Prämissen, Zeichentheorien, psychotisches Erleben, Halluzinationen von Nicht- Psychotikern und psychotisches Erleben im Sammelbecken «Wahnsinn» gleich- setzbar? Wie sind die in den verschiedenen Kapiteln eingebauten Fallvignetten, die von «wahnsinnig vernünftig denkenden» und doch pathologisch leidenden Patienten des Autors erzählen, zu lesen? Wie verhalten sie sich zum kommen- den Text, falls sie nicht gänzlich für sich selbst stehen sollten? Gerade, weil die innere Logik des Buches einem psychoanalytischen Vorgehen entspricht – sich nicht nur am roten Faden, sondern auch an Brüchen und Widersprüchen von Erzählungen und anderen Gedankenprodukten orientiert – hätte eine differen- zierende Kommentierung fruchtbar sein können. «Der Wahnsinn der Philosophie» sei zu Schreibbeginn als Fachartikel ange- dacht gewesen – gut, dass der Text zum über 400-seitigen Buch gereift ist! Innerhalb eines einzigen Autors kommen die Disziplinen Psychiatrie, Psychoanalyse und Philosophie ins Gespräch und der Leser findet sich als faszinierten Beobachter wieder: Gekonnt jongliert Strassberg mit dem, was er sich aus den verschiedenen Disziplinen zu eigen gemacht hat, und gibt als Psychiater Aspekte des Wahnsinns an die Philosophie weiter, legt als Psychoanalytiker den Philosophen eine genuin analytische Erkenntnis- sowie Darstellungsmethode in die Hände und führt als Philosoph den Psychoanalytikern eine Welt vor Augen, die sie in ihrem kleiner werdenden Horizont zu sehen oft nicht imstande sind. Journal für Psychoanalyse 55