Nach dem Austritt der Jungianer aus der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPV) 1914 hatte Freud in der vormals so wichtigen Provinz Schweiz keine organisierte Gefolgschaft mehr. Erst nach dem 1. Weltkrieg gab es wieder eine Schweizer Ortsgruppe. Bei der Lektüre der Briefwechsel Freuds, der Rundbriefe des «Geheimen Komitees» und dem Studium der Geschichte der Schweizerischen Gesellschaft für Psychoanalyse (SGP) zeigen sich Konstanten, die das Verhältnis der Schweizer zur Freud’schen Internationalen auszeichnen. Immer wieder verweigern sich voll ausgebildete Analytiker dem nationalen (SGP) und internationalen Verband (IPV). Und diejenigen, die mitmachten, offenbarten eine partikularistische Schlagseite, die Freud verbatim als «Kantönligeist» bezeichnete. Sie widersetzten sich Kongresstraditionen, was Kongresse platzen liess, hielten sich nicht an die üblichen Ausbildungsrichtlinien – machten immer alles etwas anders als die Andern. Innerschweizerisch war die Einheit der Freudianer immer wieder vom Partikularismus der Ärzte bedroht. Die Schweizer waren deshalb lange die enfants terribles in der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. Das letzte Drama in der bald 100-jährigen Geschichte war eine Spaltung, die niemand wollte.
30 Jahre PSZ Die Psychologie der Schweizer 1 Thomas Kurz (Zürich) Zusammenfassung: Nach dem Austritt der Jungianer aus der Internationalen Psycho analytischen Vereinigung (IPV ) 1914 hatte Freud in der vormals so wichtigen Provinz Schweiz keine organisierte Gefolgschaft mehr. Erst nach dem 1. Weltkrieg gab es wieder eine Schweizer Ortsgruppe. Bei der Lektüre der Briefwechsel Freuds, der Rundbriefe des «Geheimen Komitees» und dem Studium der Geschichte der Schweizerischen Gesellschaft für Psychoanalyse (SGP) zeigen sich Konstanten, die das Verhältnis der Schweizer zur Freud’schen Internationalen auszeichnen. Immer wieder verweigern sich voll ausgebildete Analytiker dem nationalen (SGP) und internationalen Verband (IPV ). Und diejenigen, die mitmachten, offenbarten eine partikularistische Schlagseite, die Freud verbatim als «Kantönligeist» bezeichnete. Sie widersetzten sich Kongresstraditionen, was Kongresse platzen liess, hielten sich nicht an die üblichen Ausbildungsrichtlinien – machten immer alles etwas anders als die Andern. Innerschweizerisch war die Einheit der Freudianer immer wieder vom Partikularismus der Ärzte bedroht. Die Schweizer waren deshalb lange die enfants terribles in der Internationalen Psychoanalytischen Vereini gung. Das letzte Drama in der bald 100jährigen Geschichte war eine Spaltung, die niemand wollte. Schlüsselwörter: Schweizerische Gesellschaft für Psychoanalyse, SGP, Internationale Psychoanalytische Vereinigung, IPV, International Psychoanalytical Association, IPA, Geschichte der Psychoanalyse, Rundbriefe, Geheimes Komitee, Spaltung, Lehranalyse, Psychoanalytische Ausbildung. Als Sigmund Freud im Juli 1914 an Karl Abraham vom Ausbruch des Ersten Welt kriegs schreibt, berichtet er im gleichen Brief vom Ende einer geschlagenen Schlacht: Zürich und die «Schwei zer Schule» um Carl Gustav Jung waren gerade aus dem psychoana lytischen Olymp gefallen, oder besser gesagt, hinausmarschiert. Freud hatte erwartet, dass er die Schweizer nur durch die Auflösung der Inter na tio nalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPV ) oder durch kollek tiven Austritt und die Gründung einer neuen Orga ni sation loswerden würde. Jung legte das Amt © 2020, die Autor_innen. Dieser Artikel darf im Rahmen der „Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International“ Lizenz ( CC BY-NC-ND 4.0 ) weiter verbreitet werden. DOI 10.18754/jfp.48.8 98 Thomas Kurz des Zen tral präsidenten indessen kampflos nieder und die ruhm reiche Zürcher Ortsgruppe trat aus der IPV aus. Der Honeymoon mit der Schweiz war zu Ende. Während dem Ersten Welt krieg hatte Freud in dieser vormals so wichtigen Provinz keine organisierte Gefolg schaft mehr: Der Kontakt beschränkte sich auf Briefverkehr mit dem Zürcher Pfarrer Oskar Pfister und mit dem Psychiater Ludwig Binswanger in Kreuzlingen. Das Verhältnis zur Schweiz war ge trübt. 1928 wird er an Binswanger schrei ben: «Nein, es steht fest, ich werde die Schweiz nicht mehr sehen» (26.2.1928). Nach Kriegsende waren Pläne da, Zürich und der Schweiz wieder eine grössere Rolle in der psychoanalytischen Bewegung zuzuerkennen. Es wurde ein Gipfel treffen in der Schweiz zwischen Hanns Sachs, Otto Rank und Ernest Jones eingefädelt. Jones unterstrich «the immense advantages that Switzerland of fers internationally (poli tically, money, trading, etc.)» (25.3.1919). Von den Personen, die 1919 die Schweizer IPV Ortsgruppe, die «Schweizerische Gesellschaft für Psy choanalyse (SGP)», neu gründeten, hielten Freud und seine Entourage allerdings nicht gerade viel. Gegenüber seinem langjährigen «Vize» Sandor Ferenczi beklagte sich Freud, dass Emil Oberholzer Präsident werden solle, «der mir nur als schwerer Neurotiker bedenklich ist. Sie haben in der Schweiz doch eine ganz besondere Rein zucht von Narren» (24.1.1919). Freud wusste, wovon er sprach; Ober holzer hatte bei ihm 1913 eine Zweitanalyse gemacht (Mijolla, 2002). Und Jones berichtete Freud von der Grün dungs versammlung: «The best members are Binswanger, a psychiatrist Rohr schach, and Frau Dr. Ober holzer [Emil Oberholzers Frau Mira, Anm, TK]. Pfister you know; he gives trouble in wanting to make the whole world im mediately members, being convinced that every one is on the point of becoming a complete psychoanalyst» (25.3.1919). Acht Wochen nach der Gründung lag die SGP bereits im Clinch mit dem von Freud eingesetzten Mittels mann, Agent und Wanderlehrer (OTon Freud) Hanns Sachs und mit der IPV: Sachs hatte den Schweizern geraten, ihr IPV Beitrittsgesuch wieder zurück zu ziehen, da im Verein die Absicht bestünde, «das Moment der Sexualität möglichst unangerührt zu lassen». Einem Brief Freuds an Pfister (27.5.1919) zufolge betrach teten die Schweizer Sachs als «Sendboten der hohen Inquisition». Zu Recht: Freud nahm Sachs mit dem Argument in Schutz, dieser misstraue vielleicht «der ‹Psychologie der Schweizer› und fürchtet, dass die Ver Jungung bei Ihnen tiefer ein gedrungen ist, als Sie alle sich und anderen eingestehen wollen.» Der Plan, der Schweiz unter Sachs eine besondere Rolle zuzugestehen, wurde bald fallengelassen. Die Schweizer taten in der Folge acht Jahre lang nun alles, um ihrem rampo nier ten Ruf gerecht zu werden und der IPV inklusive Sigmund Freud Journal für Psychoanalyse 48 Die Psychologie der Schweizer 99 auf den Nerv zu gehen: Zunächst wurde in Wien, London und Berlin mit Missfallen bemerkt, dass die Ro mands keine Anstalten zum Beitritt zu SGP und IPV machten. Eduard Claparède hatte 1919 einen offenen psychoanalytischen Kreis gegründet. Jones fragte deshalb in einem Rundbrief im Oktober 1920: «Do you suggest that we make overtures to the other Geneva pseudoanalysts (Claparède, etc), who have refused to join the Swiss group?» Claparède und seine Gruppe blieben draussen. Ein peinlicher, im nachhinein kaum nachvollziehbarer Konflikt entzündete sich am ZeitschriftenObligatorium für IPV Mitglieder. Oberholzer unterbreitete Freud persönlich das Anliegen, dass für die Schweiz eine Ausnahme zu machen sei. Das unsolidarische Ansinnen aus der kriegsverschonten Schweiz kam mithin zu einem Zeitpunkt, als Freud in Wien gegenüber Karl Abraham konstatieren musste, «dass es hier im Zimmer bitterkalt ist» (5.2.1919) und gegenüber Ferenczi, dass der Fleisch mangel und chronische Hunger zur Affektmilderung beitrage (25.3.1919). Tat sächlich waren wegen dem Zeitschriftenobligatorium drei Ärzte aus der SGP aus getreten. Vor allem aber wollte die SGP einen millionenschweren, aber geizigen Schot ten mit Palazzo in Genua in ihren Reihen halten. Schliesslich warf Freud den Schweizern vor, dass «sie anstatt die schwie rige Situation des Verlages zu bedenken, zu ihren Gunsten eine Begünstigung for der ten, die an unsere Existenzmöglichkeit rührte» (an Pfister 25.12.1920). Im Wirbel um den «ersten psychoanalytischen Roman grossen Stiles», so hatte der Internationale Psychoanalytische Verlag «Der Seelensucher» von Georg Groddeck 1920 angekündigt, waren die Schweizer mit ihrer Kritik zunächst in bes ter Gesell schaft: Viele kritisierten das Buch, nur Freud fand es «freilich Kaviar fürs Volk, das Werk eines Rabelais ebenbürtigen Kopfes» (an Eitingon, 23.1.1921). Die Schweizer manövrierten sich aber mit sicherem Gespür ins schnelle Abseits, indem sie in Er wägung zogen, das «pornographische Elaborat» selbst anzuzeigen, um die Einfuhr in die Schweiz zu verhindern. In einer zehn sei tigen Stand pauke schrieben Freud und Otto Rank am 28.2.1921 zu diesem Plan dass sie «ein so ausgiebiges Mass von spiess bür gerlicher Vorsicht und Bravheit wohl nicht vereinbar mit der Würde eines Analy ti kers gehalten hätten» (Groddeck 1998: 291). In den zwei folgenden Jahren glänzte die SGP an Kongressen durch Abwesenheit und im Verein durch Untätigkeit, was Freud bewog, sich bei Pfister über Ober hol zer zu beklagen: «Es ist nichts von ihm zu haben. (…) Als Präsident einer Orts gruppe erscheint er nicht auf dem Kongreß, wahrscheinlich auch nicht auf dem nächsten, und das ist wirklich unerhört» (27.7.1922). 30 Jahre PSZ – Institutionalisierung/DesInstitutionalisierung 100 Thomas Kurz Von April bis Sep tember 1923 fanden überhaupt keine Sitzungen statt (IZP 9, 1923: 551). Im Okto ber 1922 schrieb Pfister an Freud endlich, «dass nun in unserer schweiz. Gesellschaft wieder flotte Ordnung herrscht» (23.10.1923). Ob das besser war? Während die psychoanalytische Welt von der im April 1923 dia gnostizierten Krebserkrankung Freuds erschüttert wurde, zügelte Präsident Ober holzer seine Praxis an den Utoquai 39 ( Tür an Tür zum späteren Epizentrum der Freud’schen Psycho analyse in der Schweiz, der Praxis ParinMorgenthaler am Uto quai 41) und die SGP begann zum ersten, aber nicht zum letzten Mal einen Kongress zu orga nisie ren, der nicht stattfinden sollte: Ober hol zer knüpf te die Durchführung der 1926 in Luzern vorgesehenen Tagung zum Erstaunen der IPV an Voraus setzun gen, worauf sich die Verhandlungen zerschlugen – der Kongress wurde in Bad Hom burg durchgeführt. 1927 versuchte es die IPV noch einmal mit einem Kongress in der Schweiz, biss aber bei Ober holzer wiederum auf Granit. IPV Präsident Max Eitin gons Fazit: «Mit die sem Representative Man unserer Schwei zer ist also nichts zu machen» (Rund brief, 21.11.1926). Der Kongress 1927 fand in Innsbruck statt. Oberholzers Meisterstück sollte indessen erst noch kommen: 1926 hatte Freud mit seiner Schrift «Zur Frage der Laienanalyse» versucht, den amerikani schen Bestre bungen, Nichtärzte von der psychoanalytischen Praxistätigkeit auszu schliessen, vor den Bug zu schiessen. Was sich die Amerikaner noch lange nicht getrauten, machte Ober holzer ohne Zögern: Ohne Rück sprache mit Freud oder der IPV trat er 1928 als Prä sident zurück, aus der SGP aus und gründete mit Rudolf Brun eine «Schwei ze rische Ärztegesellschaft für Psychoanalyse» als SGP Konkurrenz. Oberholzer und Brun sahen einen formalen, lockeren Anschluss an die IPV vor, «um uns in der Wah rung un serer Interessen nach allen Seiten freie Hand zu lassen» (Rundschreiben Ober holzer/Brun, 8.12.1927, zitiert in Schröter, 2004, 578). Der Partikularismus der Ärzte superponiert auf dem Partikularismus der Schweizer. Freud kannte die Diagnose für diese schweizerische Ur Krankheit: «Kantönligeist». An Kielholz schrieb Freud, «die Schweizer mit ihrer Spaltung seien doch Parti kula risten. Der Kantönligeist spiele da offenbar eine Rolle» (Kielholz 1957: 401 f.). Be reits 1921 war Freud in «Massenpsychologie und IchAnalyse» auf die «Kantönli» zu sprechen gekommen: «Jedes Kantönli sieht geringschätzig auf das andere herab», schrieb er im Zusammenhang damit, dass «fast jedes intime Gefühls verhältnis zwi schen zwei Personen von längerer Dauer» einen Bodensatz von feindseligen Ge füh len enthalte (Freud 1976: 110 f.). Das 41seitige IPV Aufnahmegesuch Oberholzers wurde von IPV Präsident Eitingon postwendend abgelehnt. Zur Schweizer Urangst vor Majorisierung und vor Journal für Psychoanalyse 48 Die Psychologie der Schweizer 101 fremden Richtern meinte Eitingon: «Unterzeichnetem sind aus der Geschichte der I.P.V keine Beispiele von Majorisierungen von Minoritäten bekannt, denen eine neu gegründete Gesellschaft von vornherein vorbeugen zu müssen ge nö tigt sein könnte, ebenso we nig ist es ihm ersichtlich, welche Beschlüsse oder Gepflo genheiten der I.P.V z. B. für die Schweiz als «kleineren Staat» unannehmbar sei en» (1.3.1928, zitiert in Schröter, 2004, 960). Zehn Tage zuvor hatte Freud Ernest Jones geschrieben: «We had a good deal of correspondence about the Swiss ‹Sturm im Wasserglas›» (18.2.1928). Nach acht Jahren im Vorstand wurde der Basler Arzt Philipp Sarasin neuer Präsi dent der SGP. Er hatte 1915 bei Bleuler im Burghölzli gearbeitet und die erste Ana lyse auf der falschen Seite, beim Jungianer Franz Riklin, gemacht, eine zweite bei Hanns Sachs und eine dritte 1921 bei Freud selbst (Mijolla, 2002); 1922 arbeitete er an der neu eröff neten Wiener Polikli nik. Im Juli 1928 be suchte Sarasin Freud in Wien; Freud schrieb danach erleichtert: «Es ist doch so, als ob man die Schweiz wie der ge wonnen hätte» (an Eitingon, 18.7.1928). Philippe Sarasin lotste die SGP erfolg reich in ruhigere Gewässer. Dass der im Detail in Interla ken geplante IPV Kongress 1931 wiederum ins Wasser fiel, war die Folge der Wirtschaftskrise: Die Schweiz war zu teuer. Er fand schliesslich 1932 in Wies baden statt. Inzwischen war die Schweiz bereits vom Land der Tuberkulosetherapie zum Land des Exils mutiert. Im März 1933 beschwor Ferenczi Freud, mit Patienten und Toch ter Anna nach England zu emi grieren, während er selbst beabsichtige, rechtzeitig nach der Schweiz zu reisen. Freud bat Ferenczi zu bedenken, «wie wenig Behag lich keit das Leben in der Fremde, sei es Schweiz oder England, den Flücht lin gen ver spricht» (2.4.1933). Zwei Wochen nach der Verbrennung seiner Bücher in Berlin schrieb Freud an Pfister: «Zu den gastlichen Ländern gehört die Schweiz nicht» (28.5.1933). Immerhin war die SGP im August 1934 zum ersten Mal Gastgeber eines tat sächlich stattfin den den IPV Kon gresses. Die IPV hatte sich mit der Arisierung der Psycho ana lyse in Deutschland und der Organi sation der Emigration zu befassen. Sie optierte unter Ernest Jones, wie Landsmann Chamberlain, mit Appe ase ment: Weil unter den Mitgliedern eine Unruhe und Besorgnis entstanden war, dass der Kommunist Wil helm Reich das Berliner Institut, die Gesellschaft und seine Kollegen durch seine agitatorischen Aktivitäten in Gefahr bringe, brachte es die IPV in Luzern fertig, Reich loszuwerden, ohne Klarheit darüber, ob er nun ausge schlos sen worden oder selbst ausgetreten war. Nach dem Kongress war er jedenfalls draussen. Die SGP wandte sich nach dem Luzerner Höhenflug wieder den inner schwei ze ri schen Nie derungen zu. Im Zusammenhang mit einem neuen IPV Auf 30 Jahre PSZ – Institutionalisierung/DesInstitutionalisierung 102 Thomas Kurz nah megesuch der Oberholzer’schen Ärztegesellschaft wurde die Möglichkeit einer Wie der verei nigung diskutiert und verworfen. Oberholzer emigrierte 1938 in die USA und der Fried rich GlauserAnalytiker Max Müller übernahm die Leitung der Ärztegesell schaft. Zu ihrem Ende erklärte er in seinen Memoiren: «Sie verschwand sang und klang los. Schon vor dem Krieg bewarben sich mehrere unserer Mitglieder um die Wieder aufnahme in die alte Gesellschaft, allen voran Brun, der seinerzeit der lauteste Schrei er für die Spal tung gewesen war» (Müller 1982: 73). Nach Müller wurde der «Leichnam» erst 1948 offiziell zu Grabe getragen. 1939 war die Schweizer Gruppe im Begriff, wie von Freud gewünscht, die «grosse Be deutung in der psychoanalytischen Bewegung» wiederzugewinnen, «die sie zu An fang derselben hatte» (Freud an Oberholzer, 10.5.1921). Weil es im deutsch spra chigen Europa keine Ausbildungsmöglichkeit in Freud’scher Psychoanalyse mehr gab, wurde die Schaffung eines Ausbildungs instituts ins Auge gefasst: «In Aussicht genommen ist Zürich, Lokal Dr. Boss, Zeit evt. an Samstagnachmittagen je 2–3 Stun den» (16.2.1939). Zudem plante die SGP mutig Vortragszyklen, «die dem Publikum zeigen, dass wir noch existieren» ( Vorstandssitzung, 16.2.1939). Auch Freud exi stier te noch; er starb am 23. September 1939, drei Wochen nach dem Überfall auf Polen. Die Sache so offensiv mit Vortragszyklen zu ver treten, getraute sich die SGP nach Kriegsausbruch dann doch nicht; der Aufbau des Lehr instituts war indessen auch in den weiteren Vorstandssitzungen ein Trak tandum und wurde auf eine Art skizziert, dass darin bereits die Konturen des späteren «Psycho ana lytischen Seminars Zü rich (PSZ)» aufscheinen: «Wir organisieren auf nächsten Winter Kurse. Wer sie halten will, soll sich beim U.A. [UnterrichtsAusschuss] anmelden, der U.A. wird diese Kurse dann vertreten. Die ‹Substanz› ist das KursMaterial, d. h. die organi sa to ri schen Fragen entstehen mit den Kursen und können dann, wenn sie aktuell sind, er ledigt werden. Die Vor lesenden schauen sich – zB. unter ihren ehemaligen Analy sanden, nach Hörern um, dann kann eine Hörerliste aufgestellt werden. Die Vorle sen den würden von der Hörerliste in Kenntnis gesetzt, ebenso müssten sie sich vor Beginn ihrer Vorlesungen miteinander über ihre Absichten vereinbaren, damit nicht ‹doppelt genäht› werde» ( Vorstandssitzung, 24.6.1939). Die Gründung eines «Schweizerischen Instituts für Psycho ana lyse» ( Vor stands proto koll 14.1.1951) war auch nach Kriegsende weiter auf der SGP Traktanden liste (ne ben der Vorbereitung des ersten IPV Nachkriegskongresses 1949 in Zü rich). Wie schwierig ein solches Unterfangen in der Schweiz war, zeigten indessen die niederen Geschäf te, mit denen sich Sarasin herumschlagen musste: Kaum war der Krieg zu Ende, kam es zu erneuten Irritationen zwischen Deutsch weizern und Journal für Psychoanalyse 48 Die Psychologie der Schweizer 103 Welschen: «Es sind Anzei chen vorhanden, dass sich die Welschen von uns separieren wollen, aber alles ist noch unabgeklärt», schrieb Hans Zulliger ins Protokoll vom 19.1.1946. Die Befürchtung bewahrheitete sich nicht. Dass qualifizierte Personen zögern, ihre Vorträge zu halten und in die SGP einzu tre ten, war gemäss Vorstandsprotokoll 20 Jahre nach 1919 (und 20 Jahre vor 1968, s.u.) wieder ein Thema: Im Protokoll vom 24.1.1948 bemängelte der Vorstand die man geln de Bei trittswilligkeit von potentiellen Mitgliedern und Disziplinlosigkeit bei den Mitgliedern, «weil einzelne Mitglie der unserer Gesellschaft drauflos Lehranalysen veranstalten, ohne vorher den Unter richtsAusschluss zu begrüssen.» Sarasin zählte 1947 36 Lehr und Kontrollanalysen und musste an der Vorstandssitzung vom 24.1.1948 fragen: «Wer sind diese 36 Leute?» Zwei dieser 36 hatten allerdings – nach einer Analyse beim verlorenen Sohn Rudolf Brun – eine IPV konforme Ausbildung: Paul Parin wurde im Februar 1951, Fritz Morgenthaler ein Jahre später ordentliches Mitglied der SGP. Während Parin ab 1949 volle 16 Jahre als Revisor abver diente, sass Morgenthaler 1956 im SGP Vor stand, dafür wurde Parin 1967 Präsident. Zurück ins Jahr 1951: Der SGP Vorstand erklärte sich einverstanden, «dass die in ner halb der Gesellschaft bis jetzt bestehenden Einrichtungen zum Studium der Freudschen Psychoanalyse ausge baut werden im Sinne eines ‹Schweizerischen Psy choanalytischen Lehrinstitutes›.» Pfister hatte die Idee 1949 wieder aufgegriffen und bereits Statuten ausgearbeitet (in welchem er auch sein Anliegen eines Analy tiker Di ploms wieder einbrachte). Die Betriebsamkeit hing damit zusammen, dass zwi schen verschiedenen tiefenpsychologischen Richtungen ein Rennen im Gang war: «Unter Mitarbeit unseres Mitgliedes Prof. Schneider hat sich ein ‹Schwei zeri sches SzondiKomitee› gegründet. Auch das ‹JungInstitut› floriert. Deshalb wird das Einrichten eines ‹Instituts für Psychoanalyse› immer dringender» (19.12.1952). In den folgenden Jahren verschwand das Traktandum aus den noch vorliegen den Pro tokollen des Vorstandes. Dafür nahmen Gespräche über Aufnahmegesuche deut lich zu, und damit Diskussionen, welche Analysen von der SGP als Lehranalysen anerkannt würden. Es gab ausserordentliche Mitglieder, die potentielle Analytiker analysierten, obwohl dafür ordentliche Mitglieder vorgesehen waren, und es gab ordentliche Mitglieder, die im Begriff waren, eine eigene Schule zu gründen – die Lehranalysen machten, welche die SGP nicht anerkennen wollte (Gustav Bally und Medard Boss). Sarasin löste das Problem der Dispziplinlosigkeit der Schweizer prag matisch in zwei Schritten: Zunächst wurde festgehalten, dass der Umstand, dass der Analytiker nicht or dentliches Mitglied der Gesellschaft sei, kein Grund dafür dar stelle, den Sta tus der «Lehranalyse» zu verweigern; dass aber «bei ausser ordentlichen Mitglie dern die Kon trolle am Kandidaten selbst vorgenommen werde, 30 Jahre PSZ – Institutionalisierung/DesInstitutionalisierung 104 Thomas Kurz bevor man sie ak zep tiere» (29.9.1956). Wegen Boss und Bally wurde dieses Vorgehen auch auf Analysen von ordentlichen Mitgliedern ausgeweitet, was die un ten aus geführte Praxis der nachträglichen Anerkennung von Lehranalysen (nach Fritz Meerwein «eine schweizerische Eigenart», von uns als «Lex Sarasin» bezeichnet) begründete. Im Ja nuar 1959 beschloss der vollständige Vorstand (Sarasin, de Saus sure, Ram bert, Blum und Morgenthaler) zusammen mit dem Präsidenten des deutschschwei zeri schen Un ter richtsausschusses Paul Parin schliesslich einhellig, dass Kandidaten künftig em pfohlen wer den solle, zwei Be suche bei einem Mitglied des Unterrichts Ausschuss zu machen: Einen Besuch am Anfang der Analyse, um ein Bild von den Symp tomen und von dem Wunsch, Psy choanalytiker zu werden, zu bekommen. Und ein zweiter Besuch bei fortge schritte ner Analyse, um den Verlauf beurteilen zu kön nen. Diese Pra xis war von de Saussure vorgeschlagen und von Parin por tiert worden. Von de Saussure wurde auch über nom men, dass der Analytiker des Kandidaten nicht in den Entschei dungsprozess ein bezogen werden solle. Im Vorstandsprotokoll vom Januar 1959 kam auch zum Ausdruck, dass die Idee eines Instituts für Psy choanalyse – seit Jahren nicht mehr erwähnt – von der Basis auf gegriffen und in Zürich, Bern, Lausanne und Genf in die Tat umgesetzt worden war. Ef fektiv wurden in Bern seminaristische Veranstaltungen für Psychiatrie as sis tenten und in Lausanne solche für Kinderanalytiker gegeben; zudem gab es in Genf ein cen tre d’en seignements mit wöchentlichen Veranstaltungen. Das «Seminar Zü rich» hat te gemäss Bericht von Parin seit November 1958 eigene Räume an der Rä mi strasse. «Im Seminar sind ca 15 Hörer, fast alles Nicht Medi ziner» , während sich die Ärzte um das Burghölzli (d. h. um das Institut für ärztliche Psychotherapie von Boss und Bally) gruppieren würden. Bereits 1958 zeichnete sich eine Zusammen arbeit zwi schen diesen zwei Institutionen ab; der spätere SGP Präsident Fritz Meer wein war auf der Seite des BossBally Instituts an den Verhandlungen mit Parin und Mor genthaler beteiligt. 1961 anerkannte die SGP das centre romand d’en seignement psy cho ana ly tique in Genf und das Psychoanalytische Seminar Zürich (PSZ) als offi zielle Aus bildungs stätten der SGP. 1961 wurde Raymond de Saussure (auf Vor schlag von Parin) neu er Präsident. Die Deutschschweizer Psychoanalyse war seit einigen Jahren von Parin (Prä si dent des Unterrichtsausschusses) und Morgenthaler (Aktuar im Vor stand) ge prägt wor den; zunächst spannungsfrei und im guten Einvernehmen mit den übrigen Mitglie dern der Gesellschaft. Erst 1962 kam es – von unerwarteter Seite – zu einer ersten Missfal lens kundgebung über die Macht kon zen tration am Utoquai 41 (der Praxis ParinMor gen thaler): Ausgerechnet der Parin und Morgenthaler Journal für Psychoanalyse 48 Die Psychologie der Schweizer 105 Analytiker Rudolf Brun drohte, aus der SGP auszutreten, weil der Vorstand einem seiner Analysanden die aus ser or dentliche Mitgliedschaft verweigert hatte. Brun denunzierte den Kreis um Parin und Morgenthaler als «Clan» und em pfahl seinen zwei ExAnalysanden echauf fiert eine Nachanalyse bei Zulliger oder de Saussure. Brun konnte schliesslich von seinem Austritts vorha ben abgebracht werden. An den Kursen des Zürcher Seminars nahmen 1958–1965 rund 40 Perso nen teil, zehn Dozenten unterrichteten, unter anderen Bally, Berna, von Blarer, Blum, Lincke, Morgenthaler, Ulrich Moser, Parin und Winter. Einen Bruch zwischen der Zür cher Gruppe und der SGP gab es nicht, im Gegenteil: Die Ver bands politik der SGP wurde stark von den Zür chern bestimmt, die wichtige Aemter innehatten. Dasselbe trifft für das Verhältnis zur IPV zu: Morgent haler und Parin en gagierten sich im Vereinsleben der IPV, über nahmen Ämter und betei ligten sich an Kongressen. Das Verhältnis zur IPV war konfliktlos, obwohl die SGP als einzige compo nent so ciety zu Beginn der Aus bil dung kein Selektionsverfahren anwandte, was in der IPV bemerkt und von Heinz Kohut moniert worden war. Morgenthaler hatte 1967 aus der Not schweizerischer Disziplin losigkeit bei der Einhaltung der IPV Ausbildungs stan dards (s.o.) eine Tugend gemacht (und damit eine Grundlage für das Ausein anderfal len von SGP und PSZ gelegt): Kandidaten machten die psycho analytische Ausbil dung (die per sönliche Analyse und der Besuch von Se minarien z. B. am PSZ) näm lich nunmehr offiziell ausserhalb der SGP; und diese be hielt sich vor, ungeeignete Per sonen auch nach langjähriger Ana lyse bei SGPMit gliedern und Seminarbesuchen abzu weisen. Erst mit der Auf nahme als ausser ordent liches Mitglied anerkannte die SGP die persönliche Analyse als Lehranalyse und der Analysierte konnte am Ve reins leben teilnehmen. Als sich die 68er der Freud’schen Psychoanalyse zuwandten, überstieg die Nachfrage nach Analyseplätzen bei SGP Mitgliedern das Angebot massiv, und die Ausbil dungs praxis wurde wei ter liberalisiert: Der damalige SGP Präsident Paul Parin bei spielsweise ver wies Ausbildungs kan didaten offiziell nun auch an aus gebildete NichtSGP Mitglie der mit dem Hin weis auf die erwähnte «Lex Sarasin»: Dass in der Schweiz die Kon trolle in jedem Fall post fes tum am Kandidaten selbst vor ge nommen werde. Im Februar 1974 wurde diese Praxis im offiziellen SGP Bulletin festge schrie ben: «Wünscht jemand seine Analyse bei einem Analytiker zu machen, der nicht Mitglied der Gesellschaft ist, oder hat er dies bereits unternommen, wird es wie bei jeder Analyse vom Ergebnis abhängen, ob diese Analyse für die Ausbildung zu reichend ist.» Das ordentliche SGP Mitglied Lambelet erklärte im Juni 1974 in Basel: «In unserer Gesellschaft gibt es weder den Begriff des Lehranalytikers noch denjenigen 30 Jahre PSZ – Institutionalisierung/DesInstitutionalisierung 106 Thomas Kurz der Lehranalyse. Angehende Mitglieder sind deshalb nicht verpflichtet, ihre eige nen Analysen bei ordentlichen Mitgliedern der Gesellschaft zu absolvieren. Zeigt die Analyse das gewünschte Resultat, spielt es keine Rolle, ob sie bei einem ordentlichen oder ausserordentlichen Mitglied der Gesellschaft oder bei einem an deren Analytiker absolviert worden ist» (Protokoll, 22.6.1974). Parin wurde 1967 SGP Präsident. Er hatte diese Präsidentschaft in der Meinung über nom men, dass die Jun gen eintreten und das im internationalen Vergleich liberale Erbe der Schweizer Grup pe verteidigen würden. Mit dem Eintritt der Jungen hätte sich das Problem natürlich ergeben. Aber wieder einmal traten voll ausge bildete Freu dianer nicht in die Organi sation der Freud’schen Psy cho ana lyse ein. Bert hold Rothschild, Irene Brogle, Pe dro Grosz, Emilio Modena, Judith Valk, Ilka von Zep pelin und andere hatten ein «Krän zli» der 3. Generation ge gründet: die linke «Platt form», ein JointVenture von 1968 und Freud’scher Psychoanalyse. Anstatt nun durch die weit geöffneten Türen in die SGP einzutreten, die conté station in sie hinein zu tragen und sie umzugestalten, denunzier ten sie SGP und IPV als sklerotisch und geron to kra tisch und blieben draus sen – of fen sichtlich eine andere «schwei ze rische Eigenart», neu legitimiert. Die Etablierung einer Freud’schen Psychoanalyse ausserhalb der SGP wurde weiter vorangetrieben, als Morgenthaler 1970 mit den studentischen Forderungen ernst machen und durchsetzen wollte, dass das PSZ «als erstes Ausbildungsinstitut einer psychoanalytischen Gesellschaft der I.P.A. [=IPV, Anm. T.K.] von den Studenten selbst übernommen und geführt werden» solle: «Ein ordentliches Mitglied wird auch zukünftig der Schweizerischen Gesellschaft für Psycho analyse gegenüber die Ver ant wortung für das Seminar Zürich tragen, sofern es möglich ist, das Seminar so zu führen, dass es den Interessen der Gesellschaft nicht zuwiderläuft. Diese Inte res sen sind ausschliesslich auf die Förderung des Gedankenguts der Psychoanalyse Freuds ausge richtet.» Darunter verstanden nun allerdings nicht alle Beteiligten dasselbe, was in den folgen den Jahren zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen linken 68ern, weniger poli ti sierten Teilnehmern und etablierten Analytikern führte. Die allge meine restaurative Demontage der Errungenschaften von 1968 und die drohende Regulierung der Psy chotherapie schürten Ängste. Entlas sungen von Psychologen im Hause Gilgen führ ten zu seminar in ternen Auseinandersetzungen, weil so wohl die entlassenen Psycho logen als auch der entlassende Chef am Seminar stu dier ten. Und wieder einmal platz te 1973 ein Kongress, den die SGP organisierte: Wiederum waren die beteiligten aus ländischen Gesellschaften mit der schweizerischen Programmge stal tung unzufrieden, wieder einmal wollten die Schweizer Personen Journal für Psychoanalyse 48 Die Psychologie der Schweizer 107 auf dem Podium, die nicht SGP Mit glieder waren (an einem solchen Ansinnen der Schweizer platzte bereits der Luzerner Kongress von 1926), und wieder einmal wurde die nichtkon forme Schweizer Visi ten karte vom Ausland nicht toleriert: Der Kongress wurde ab geblasen (s. Kurz 1993). Der Ärger der Deutschen und der Österreicher schürte nun vorbestehende Ängste, der Schwei zer Sonderzug würde vom Aus land gestoppt und die SGP könnte die An er kennung der IPV verlieren. 1975 kam es auf Anregung von SGP Präsident Fritz Meerwein, der eine Spaltung verhindern woll te, zu einer Aussprache mit dem IPV Präsidenten Serge Lebovici, «to eradicate the general mistrust in our system» (2.10.1974). Danach schlug eine SGP interne Ar beitsgruppe eine Statutenänderung vor, welche postulierte, dass künftig Aus bildungs zentren nur noch anerkannt wür den, wenn im Vorstand SGP Mitglieder die Mehrheit haben. Dies war ein frontaler An griff auf die Selbstver wal tung des Zür cher Semi nars. Das Postulat wurde im April 1977 von der SGP Gene ralversammlung gut ge heissen. Einen Monat später teilte die SGP dem PSZ mit, dass der von der SGP ge wählte Unterrichtsausschuss der Region Zürich die von den Teil nehmern des Se mi nars gewählte Seminarleitung ersetze. Als das Seminar diesen Machtwechsel nicht akzeptieren wollte, schloss die SGP die Räume in Witikon – sie hatte als Mieter das Recht dazu. Damit war die Spaltung, die niemand wirklich wollte, vollzogen. Es gab nunmehr zwei Freud’sche Aus bildungs stät ten in Zürich. Hinter dieser Spaltung standen keine unterschiedlichen Auffassungen über die rich tige psychoanalytische Lehre, die Metapsychologie , die Neurosenlehre oder die Be handlungstechnik. Die Divergenz bezog sich vielmehr auf die Organi sa tion der psy choanalytischen Gemeinschaft, auf Fragen der Zugänglichkeit und des Elitaris mus, der Selektion und der innere Differenzierung. Dies hätte wohl für eine Spaltung nicht gereicht, hätte nicht die Heftigkeit der Auseinan der setzung bei den Beteiligten Nar ben hinter las sen, die es verunmöglichten, unter dem selben Dach (Freud an Abra ham, 4.3.1924) an der Sache weiterzuarbeiten. Die Platzierung der Lehranalyse ausserhalb der SGP, die Autonomisierung des Zür cher Seminars, das von der Anerkennung der SGP ab hängig blieb: Diese waghalsige Kon struktion konnte auf die Dauer nicht gut gehen, sicher jedenfalls nicht in den tur bulenten, polarisierten Zeiten nach 1968. Es gehört zur Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet die kritischen, linken Freudianer die Zugehörigkeit zur Freud’schen In ternationale ohne Not preisgegeben haben – wie figura zeigt in gut schweizerischer Tra dition. Dass es nicht, wie nach der Oberholzer Sezession, zu einer sanften Wiederver ei ni gung gekommen ist, hängt damit zusammen, dass die SGP beim grossen 30 Jahre PSZ – Institutionalisierung/DesInstitutionalisierung 108 Thomas Kurz Reine machen nebenbei das Privileg der ordentlichen Mitglieder, Lehranalysen durch zuführen, ohne landesübliche Übergangsbestimmungen wieder errichtet und mit der Lex Sarasin eine schweizerische Eigenart aufgegeben hat. Viele voll ausge bildete PSZFreudianer hatten dadurch nicht mehr einen konformen eige nen Ana lytiker und die SGP Mitgliedschaft fiel ausser Betracht. Die Spaltung, die niemand wollte, hat die Kräfte verzettelt und die Stellung der Freud’schen Analyse in der Schweiz ge schwächt. Fussnote Die Zitate zur FreudKorrespondenz stammen aus den publizierten Briefwechseln, diejenigen zur Geschichte der SGP aus dem SGP Archiv, Blum Zulliger Stiftung, in Bern. Sie erfolgen mit freundlicher Genehmigung des Archivars, Dr. Kaspar Weber. Literatur und Quellen Abraham, H.C. & Freud, E.L. (Hrsg.) (1980): Sigmund Freud Karl Abraham. Briefe 1907–1926. Frankfurt am Main: S. Fischer. Fichtner, G. (Hrsg.) (1992): Sigmund Freund Ludwig Binswanger. Briefwechsel 1980–1938. Frankfurt am Main: S. Fischer. Freud, S.: Gesammelte Werke. Band XIII. Frankfurt am Main: S. Fischer. Freud, S.: Briefwechsel Sigmund Freud, Max Eitingon. Band I und II, Schröter, M. (Hrsg.) (2004), Tübingen, edition diskord, Freud, S.: Briefwechsel Sigmund Freud, Sandor Ferenczi. Band II/2. Falzeder E. & Brabant. E. (Hrsg.)(1996), Wien: Böhlau. Freud, S.: Briefwechsel Sigmund Freud, Sandor Ferenczi. Band III/1. Falzeder E. & Brabant. E. (Hrsg.) (2003), Wien: Böhlau. Freud, E.L. & Meng, H. (Hrsg.) (1963): Sigmund Freud Oskar Pfister, Briefe 1909 1939, Frankfurt a. M.: S. Fischer. Gidal, T. & Friedrich, V. (1990): Die Freudianer auf dem 13. Internationalen Psychoanalytischen Kongress 1934 in Luzern, München: Verlag Internationale Psychoanalyse, Huber, Chr.: Persönliche Mitteilung. Sigmund Freud Privatstiftung, Bibliothek, Archiv, Berggasse 19, Wien Jones E. (1962): Sigmund Freud, Leben und Werk, Band 1–3, Bern: Huber. Kielholz, A. (1957): Persönliche Erinnerungen an Freud. Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie, Band 79, Heft 2, 401–404 Journal für Psychoanalyse 48 Die Psychologie der Schweizer 109 Kurz, Th. (1993): Aufstieg und Abfall des Psychoanalytischen Seminars Zürich von der Schweizerischen Gesellschaft für Psychoanalyse, Luzifer Amor, Band 12, 7–54. Meyer Palmedo, I. (Hrsg.) (1993): Briefwechsel Sigmund Freud Ernest Jones. 1908– 1939. S. Fischer: Frankfurt a. M. Müller, M. (1982): Erinnerungen. Erlebte Psychiatriegeschichte 1920–1960, Berlin: Springer. Paskauskas, R.A. (Ed.) (1993): The Complete Correspondence of Sigmund Freud and Ernest Jones, Cambridge: Harvard University Press. Schur, M.(1982): Sigmund Freud. Leben und Sterben. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Wittenberger, G. & Tögel, Ch. (Hrsg.) (1999): Die Rundbriefe des «Geheimen Komitees». Band 1: 1913–1920, Tübingen: edition diskord. Wittenberger, G. & Tögel, Ch. (Hrsg.) (2001): Die Rundbriefe des «Geheimen Komitees». Band 2: 1921, Tübingen: edition diskord. Wittenberger, G. & Tögel, Ch. (Hrsg.) (2003): Die Rundbriefe des «Geheimen Komitees». Band 3: 1922, Tübingen: edition diskord. Wittenberger, G. & Tögel, Ch. (Hrsg.) (2006): Die Rundbriefe des «Geheimen Komitees». Band 4: 1922, Tübingen: edition diskord. Anmerkungen 1 Eine gekürzte Version dieses Textes erschien in der Septemberausgabe 2007 der «Schweizer Monatshefte» im Rahmen der Serie «Zürich, Stadt der Seelenkunde». 30 Jahre PSZ – Institutionalisierung/DesInstitutionalisierung
30 Jahre PSZ Die Psychologie der Schweizer 1 Thomas Kurz (Zürich) Zusammenfassung: Nach dem Austritt der Jungianer aus der Internationalen Psycho analytischen Vereinigung (IPV ) 1914 hatte Freud in der vormals so wichtigen Provinz Schweiz keine organisierte Gefolgschaft mehr. Erst nach dem 1. Weltkrieg gab es wieder eine Schweizer Ortsgruppe. Bei der Lektüre der Briefwechsel Freuds, der Rundbriefe des «Geheimen Komitees» und dem Studium der Geschichte der Schweizerischen Gesellschaft für Psychoanalyse (SGP) zeigen sich Konstanten, die das Verhältnis der Schweizer zur Freud’schen Internationalen auszeichnen. Immer wieder verweigern sich voll ausgebildete Analytiker dem nationalen (SGP) und internationalen Verband (IPV ). Und diejenigen, die mitmachten, offenbarten eine partikularistische Schlagseite, die Freud verbatim als «Kantönligeist» bezeichnete. Sie widersetzten sich Kongresstraditionen, was Kongresse platzen liess, hielten sich nicht an die üblichen Ausbildungsrichtlinien – machten immer alles etwas anders als die Andern. Innerschweizerisch war die Einheit der Freudianer immer wieder vom Partikularismus der Ärzte bedroht. Die Schweizer waren deshalb lange die enfants terribles in der Internationalen Psychoanalytischen Vereini gung. Das letzte Drama in der bald 100jährigen Geschichte war eine Spaltung, die niemand wollte. Schlüsselwörter: Schweizerische Gesellschaft für Psychoanalyse, SGP, Internationale Psychoanalytische Vereinigung, IPV, International Psychoanalytical Association, IPA, Geschichte der Psychoanalyse, Rundbriefe, Geheimes Komitee, Spaltung, Lehranalyse, Psychoanalytische Ausbildung. Als Sigmund Freud im Juli 1914 an Karl Abraham vom Ausbruch des Ersten Welt kriegs schreibt, berichtet er im gleichen Brief vom Ende einer geschlagenen Schlacht: Zürich und die «Schwei zer Schule» um Carl Gustav Jung waren gerade aus dem psychoana lytischen Olymp gefallen, oder besser gesagt, hinausmarschiert. Freud hatte erwartet, dass er die Schweizer nur durch die Auflösung der Inter na tio nalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPV ) oder durch kollek tiven Austritt und die Gründung einer neuen Orga ni sation loswerden würde. Jung legte das Amt © 2020, die Autor_innen. Dieser Artikel darf im Rahmen der „Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International“ Lizenz ( CC BY-NC-ND 4.0 ) weiter verbreitet werden. DOI 10.18754/jfp.48.8 98 Thomas Kurz des Zen tral präsidenten indessen kampflos nieder und die ruhm reiche Zürcher Ortsgruppe trat aus der IPV aus. Der Honeymoon mit der Schweiz war zu Ende. Während dem Ersten Welt krieg hatte Freud in dieser vormals so wichtigen Provinz keine organisierte Gefolg schaft mehr: Der Kontakt beschränkte sich auf Briefverkehr mit dem Zürcher Pfarrer Oskar Pfister und mit dem Psychiater Ludwig Binswanger in Kreuzlingen. Das Verhältnis zur Schweiz war ge trübt. 1928 wird er an Binswanger schrei ben: «Nein, es steht fest, ich werde die Schweiz nicht mehr sehen» (26.2.1928). Nach Kriegsende waren Pläne da, Zürich und der Schweiz wieder eine grössere Rolle in der psychoanalytischen Bewegung zuzuerkennen. Es wurde ein Gipfel treffen in der Schweiz zwischen Hanns Sachs, Otto Rank und Ernest Jones eingefädelt. Jones unterstrich «the immense advantages that Switzerland of fers internationally (poli tically, money, trading, etc.)» (25.3.1919). Von den Personen, die 1919 die Schweizer IPV Ortsgruppe, die «Schweizerische Gesellschaft für Psy choanalyse (SGP)», neu gründeten, hielten Freud und seine Entourage allerdings nicht gerade viel. Gegenüber seinem langjährigen «Vize» Sandor Ferenczi beklagte sich Freud, dass Emil Oberholzer Präsident werden solle, «der mir nur als schwerer Neurotiker bedenklich ist. Sie haben in der Schweiz doch eine ganz besondere Rein zucht von Narren» (24.1.1919). Freud wusste, wovon er sprach; Ober holzer hatte bei ihm 1913 eine Zweitanalyse gemacht (Mijolla, 2002). Und Jones berichtete Freud von der Grün dungs versammlung: «The best members are Binswanger, a psychiatrist Rohr schach, and Frau Dr. Ober holzer [Emil Oberholzers Frau Mira, Anm, TK]. Pfister you know; he gives trouble in wanting to make the whole world im mediately members, being convinced that every one is on the point of becoming a complete psychoanalyst» (25.3.1919). Acht Wochen nach der Gründung lag die SGP bereits im Clinch mit dem von Freud eingesetzten Mittels mann, Agent und Wanderlehrer (OTon Freud) Hanns Sachs und mit der IPV: Sachs hatte den Schweizern geraten, ihr IPV Beitrittsgesuch wieder zurück zu ziehen, da im Verein die Absicht bestünde, «das Moment der Sexualität möglichst unangerührt zu lassen». Einem Brief Freuds an Pfister (27.5.1919) zufolge betrach teten die Schweizer Sachs als «Sendboten der hohen Inquisition». Zu Recht: Freud nahm Sachs mit dem Argument in Schutz, dieser misstraue vielleicht «der ‹Psychologie der Schweizer› und fürchtet, dass die Ver Jungung bei Ihnen tiefer ein gedrungen ist, als Sie alle sich und anderen eingestehen wollen.» Der Plan, der Schweiz unter Sachs eine besondere Rolle zuzugestehen, wurde bald fallengelassen. Die Schweizer taten in der Folge acht Jahre lang nun alles, um ihrem rampo nier ten Ruf gerecht zu werden und der IPV inklusive Sigmund Freud Journal für Psychoanalyse 48 Die Psychologie der Schweizer 99 auf den Nerv zu gehen: Zunächst wurde in Wien, London und Berlin mit Missfallen bemerkt, dass die Ro mands keine Anstalten zum Beitritt zu SGP und IPV machten. Eduard Claparède hatte 1919 einen offenen psychoanalytischen Kreis gegründet. Jones fragte deshalb in einem Rundbrief im Oktober 1920: «Do you suggest that we make overtures to the other Geneva pseudoanalysts (Claparède, etc), who have refused to join the Swiss group?» Claparède und seine Gruppe blieben draussen. Ein peinlicher, im nachhinein kaum nachvollziehbarer Konflikt entzündete sich am ZeitschriftenObligatorium für IPV Mitglieder. Oberholzer unterbreitete Freud persönlich das Anliegen, dass für die Schweiz eine Ausnahme zu machen sei. Das unsolidarische Ansinnen aus der kriegsverschonten Schweiz kam mithin zu einem Zeitpunkt, als Freud in Wien gegenüber Karl Abraham konstatieren musste, «dass es hier im Zimmer bitterkalt ist» (5.2.1919) und gegenüber Ferenczi, dass der Fleisch mangel und chronische Hunger zur Affektmilderung beitrage (25.3.1919). Tat sächlich waren wegen dem Zeitschriftenobligatorium drei Ärzte aus der SGP aus getreten. Vor allem aber wollte die SGP einen millionenschweren, aber geizigen Schot ten mit Palazzo in Genua in ihren Reihen halten. Schliesslich warf Freud den Schweizern vor, dass «sie anstatt die schwie rige Situation des Verlages zu bedenken, zu ihren Gunsten eine Begünstigung for der ten, die an unsere Existenzmöglichkeit rührte» (an Pfister 25.12.1920). Im Wirbel um den «ersten psychoanalytischen Roman grossen Stiles», so hatte der Internationale Psychoanalytische Verlag «Der Seelensucher» von Georg Groddeck 1920 angekündigt, waren die Schweizer mit ihrer Kritik zunächst in bes ter Gesell schaft: Viele kritisierten das Buch, nur Freud fand es «freilich Kaviar fürs Volk, das Werk eines Rabelais ebenbürtigen Kopfes» (an Eitingon, 23.1.1921). Die Schweizer manövrierten sich aber mit sicherem Gespür ins schnelle Abseits, indem sie in Er wägung zogen, das «pornographische Elaborat» selbst anzuzeigen, um die Einfuhr in die Schweiz zu verhindern. In einer zehn sei tigen Stand pauke schrieben Freud und Otto Rank am 28.2.1921 zu diesem Plan dass sie «ein so ausgiebiges Mass von spiess bür gerlicher Vorsicht und Bravheit wohl nicht vereinbar mit der Würde eines Analy ti kers gehalten hätten» (Groddeck 1998: 291). In den zwei folgenden Jahren glänzte die SGP an Kongressen durch Abwesenheit und im Verein durch Untätigkeit, was Freud bewog, sich bei Pfister über Ober hol zer zu beklagen: «Es ist nichts von ihm zu haben. (…) Als Präsident einer Orts gruppe erscheint er nicht auf dem Kongreß, wahrscheinlich auch nicht auf dem nächsten, und das ist wirklich unerhört» (27.7.1922). 30 Jahre PSZ – Institutionalisierung/DesInstitutionalisierung 100 Thomas Kurz Von April bis Sep tember 1923 fanden überhaupt keine Sitzungen statt (IZP 9, 1923: 551). Im Okto ber 1922 schrieb Pfister an Freud endlich, «dass nun in unserer schweiz. Gesellschaft wieder flotte Ordnung herrscht» (23.10.1923). Ob das besser war? Während die psychoanalytische Welt von der im April 1923 dia gnostizierten Krebserkrankung Freuds erschüttert wurde, zügelte Präsident Ober holzer seine Praxis an den Utoquai 39 ( Tür an Tür zum späteren Epizentrum der Freud’schen Psycho analyse in der Schweiz, der Praxis ParinMorgenthaler am Uto quai 41) und die SGP begann zum ersten, aber nicht zum letzten Mal einen Kongress zu orga nisie ren, der nicht stattfinden sollte: Ober hol zer knüpf te die Durchführung der 1926 in Luzern vorgesehenen Tagung zum Erstaunen der IPV an Voraus setzun gen, worauf sich die Verhandlungen zerschlugen – der Kongress wurde in Bad Hom burg durchgeführt. 1927 versuchte es die IPV noch einmal mit einem Kongress in der Schweiz, biss aber bei Ober holzer wiederum auf Granit. IPV Präsident Max Eitin gons Fazit: «Mit die sem Representative Man unserer Schwei zer ist also nichts zu machen» (Rund brief, 21.11.1926). Der Kongress 1927 fand in Innsbruck statt. Oberholzers Meisterstück sollte indessen erst noch kommen: 1926 hatte Freud mit seiner Schrift «Zur Frage der Laienanalyse» versucht, den amerikani schen Bestre bungen, Nichtärzte von der psychoanalytischen Praxistätigkeit auszu schliessen, vor den Bug zu schiessen. Was sich die Amerikaner noch lange nicht getrauten, machte Ober holzer ohne Zögern: Ohne Rück sprache mit Freud oder der IPV trat er 1928 als Prä sident zurück, aus der SGP aus und gründete mit Rudolf Brun eine «Schwei ze rische Ärztegesellschaft für Psychoanalyse» als SGP Konkurrenz. Oberholzer und Brun sahen einen formalen, lockeren Anschluss an die IPV vor, «um uns in der Wah rung un serer Interessen nach allen Seiten freie Hand zu lassen» (Rundschreiben Ober holzer/Brun, 8.12.1927, zitiert in Schröter, 2004, 578). Der Partikularismus der Ärzte superponiert auf dem Partikularismus der Schweizer. Freud kannte die Diagnose für diese schweizerische Ur Krankheit: «Kantönligeist». An Kielholz schrieb Freud, «die Schweizer mit ihrer Spaltung seien doch Parti kula risten. Der Kantönligeist spiele da offenbar eine Rolle» (Kielholz 1957: 401 f.). Be reits 1921 war Freud in «Massenpsychologie und IchAnalyse» auf die «Kantönli» zu sprechen gekommen: «Jedes Kantönli sieht geringschätzig auf das andere herab», schrieb er im Zusammenhang damit, dass «fast jedes intime Gefühls verhältnis zwi schen zwei Personen von längerer Dauer» einen Bodensatz von feindseligen Ge füh len enthalte (Freud 1976: 110 f.). Das 41seitige IPV Aufnahmegesuch Oberholzers wurde von IPV Präsident Eitingon postwendend abgelehnt. Zur Schweizer Urangst vor Majorisierung und vor Journal für Psychoanalyse 48 Die Psychologie der Schweizer 101 fremden Richtern meinte Eitingon: «Unterzeichnetem sind aus der Geschichte der I.P.V keine Beispiele von Majorisierungen von Minoritäten bekannt, denen eine neu gegründete Gesellschaft von vornherein vorbeugen zu müssen ge nö tigt sein könnte, ebenso we nig ist es ihm ersichtlich, welche Beschlüsse oder Gepflo genheiten der I.P.V z. B. für die Schweiz als «kleineren Staat» unannehmbar sei en» (1.3.1928, zitiert in Schröter, 2004, 960). Zehn Tage zuvor hatte Freud Ernest Jones geschrieben: «We had a good deal of correspondence about the Swiss ‹Sturm im Wasserglas›» (18.2.1928). Nach acht Jahren im Vorstand wurde der Basler Arzt Philipp Sarasin neuer Präsi dent der SGP. Er hatte 1915 bei Bleuler im Burghölzli gearbeitet und die erste Ana lyse auf der falschen Seite, beim Jungianer Franz Riklin, gemacht, eine zweite bei Hanns Sachs und eine dritte 1921 bei Freud selbst (Mijolla, 2002); 1922 arbeitete er an der neu eröff neten Wiener Polikli nik. Im Juli 1928 be suchte Sarasin Freud in Wien; Freud schrieb danach erleichtert: «Es ist doch so, als ob man die Schweiz wie der ge wonnen hätte» (an Eitingon, 18.7.1928). Philippe Sarasin lotste die SGP erfolg reich in ruhigere Gewässer. Dass der im Detail in Interla ken geplante IPV Kongress 1931 wiederum ins Wasser fiel, war die Folge der Wirtschaftskrise: Die Schweiz war zu teuer. Er fand schliesslich 1932 in Wies baden statt. Inzwischen war die Schweiz bereits vom Land der Tuberkulosetherapie zum Land des Exils mutiert. Im März 1933 beschwor Ferenczi Freud, mit Patienten und Toch ter Anna nach England zu emi grieren, während er selbst beabsichtige, rechtzeitig nach der Schweiz zu reisen. Freud bat Ferenczi zu bedenken, «wie wenig Behag lich keit das Leben in der Fremde, sei es Schweiz oder England, den Flücht lin gen ver spricht» (2.4.1933). Zwei Wochen nach der Verbrennung seiner Bücher in Berlin schrieb Freud an Pfister: «Zu den gastlichen Ländern gehört die Schweiz nicht» (28.5.1933). Immerhin war die SGP im August 1934 zum ersten Mal Gastgeber eines tat sächlich stattfin den den IPV Kon gresses. Die IPV hatte sich mit der Arisierung der Psycho ana lyse in Deutschland und der Organi sation der Emigration zu befassen. Sie optierte unter Ernest Jones, wie Landsmann Chamberlain, mit Appe ase ment: Weil unter den Mitgliedern eine Unruhe und Besorgnis entstanden war, dass der Kommunist Wil helm Reich das Berliner Institut, die Gesellschaft und seine Kollegen durch seine agitatorischen Aktivitäten in Gefahr bringe, brachte es die IPV in Luzern fertig, Reich loszuwerden, ohne Klarheit darüber, ob er nun ausge schlos sen worden oder selbst ausgetreten war. Nach dem Kongress war er jedenfalls draussen. Die SGP wandte sich nach dem Luzerner Höhenflug wieder den inner schwei ze ri schen Nie derungen zu. Im Zusammenhang mit einem neuen IPV Auf 30 Jahre PSZ – Institutionalisierung/DesInstitutionalisierung 102 Thomas Kurz nah megesuch der Oberholzer’schen Ärztegesellschaft wurde die Möglichkeit einer Wie der verei nigung diskutiert und verworfen. Oberholzer emigrierte 1938 in die USA und der Fried rich GlauserAnalytiker Max Müller übernahm die Leitung der Ärztegesell schaft. Zu ihrem Ende erklärte er in seinen Memoiren: «Sie verschwand sang und klang los. Schon vor dem Krieg bewarben sich mehrere unserer Mitglieder um die Wieder aufnahme in die alte Gesellschaft, allen voran Brun, der seinerzeit der lauteste Schrei er für die Spal tung gewesen war» (Müller 1982: 73). Nach Müller wurde der «Leichnam» erst 1948 offiziell zu Grabe getragen. 1939 war die Schweizer Gruppe im Begriff, wie von Freud gewünscht, die «grosse Be deutung in der psychoanalytischen Bewegung» wiederzugewinnen, «die sie zu An fang derselben hatte» (Freud an Oberholzer, 10.5.1921). Weil es im deutsch spra chigen Europa keine Ausbildungsmöglichkeit in Freud’scher Psychoanalyse mehr gab, wurde die Schaffung eines Ausbildungs instituts ins Auge gefasst: «In Aussicht genommen ist Zürich, Lokal Dr. Boss, Zeit evt. an Samstagnachmittagen je 2–3 Stun den» (16.2.1939). Zudem plante die SGP mutig Vortragszyklen, «die dem Publikum zeigen, dass wir noch existieren» ( Vorstandssitzung, 16.2.1939). Auch Freud exi stier te noch; er starb am 23. September 1939, drei Wochen nach dem Überfall auf Polen. Die Sache so offensiv mit Vortragszyklen zu ver treten, getraute sich die SGP nach Kriegsausbruch dann doch nicht; der Aufbau des Lehr instituts war indessen auch in den weiteren Vorstandssitzungen ein Trak tandum und wurde auf eine Art skizziert, dass darin bereits die Konturen des späteren «Psycho ana lytischen Seminars Zü rich (PSZ)» aufscheinen: «Wir organisieren auf nächsten Winter Kurse. Wer sie halten will, soll sich beim U.A. [UnterrichtsAusschuss] anmelden, der U.A. wird diese Kurse dann vertreten. Die ‹Substanz› ist das KursMaterial, d. h. die organi sa to ri schen Fragen entstehen mit den Kursen und können dann, wenn sie aktuell sind, er ledigt werden. Die Vor lesenden schauen sich – zB. unter ihren ehemaligen Analy sanden, nach Hörern um, dann kann eine Hörerliste aufgestellt werden. Die Vorle sen den würden von der Hörerliste in Kenntnis gesetzt, ebenso müssten sie sich vor Beginn ihrer Vorlesungen miteinander über ihre Absichten vereinbaren, damit nicht ‹doppelt genäht› werde» ( Vorstandssitzung, 24.6.1939). Die Gründung eines «Schweizerischen Instituts für Psycho ana lyse» ( Vor stands proto koll 14.1.1951) war auch nach Kriegsende weiter auf der SGP Traktanden liste (ne ben der Vorbereitung des ersten IPV Nachkriegskongresses 1949 in Zü rich). Wie schwierig ein solches Unterfangen in der Schweiz war, zeigten indessen die niederen Geschäf te, mit denen sich Sarasin herumschlagen musste: Kaum war der Krieg zu Ende, kam es zu erneuten Irritationen zwischen Deutsch weizern und Journal für Psychoanalyse 48 Die Psychologie der Schweizer 103 Welschen: «Es sind Anzei chen vorhanden, dass sich die Welschen von uns separieren wollen, aber alles ist noch unabgeklärt», schrieb Hans Zulliger ins Protokoll vom 19.1.1946. Die Befürchtung bewahrheitete sich nicht. Dass qualifizierte Personen zögern, ihre Vorträge zu halten und in die SGP einzu tre ten, war gemäss Vorstandsprotokoll 20 Jahre nach 1919 (und 20 Jahre vor 1968, s.u.) wieder ein Thema: Im Protokoll vom 24.1.1948 bemängelte der Vorstand die man geln de Bei trittswilligkeit von potentiellen Mitgliedern und Disziplinlosigkeit bei den Mitgliedern, «weil einzelne Mitglie der unserer Gesellschaft drauflos Lehranalysen veranstalten, ohne vorher den Unter richtsAusschluss zu begrüssen.» Sarasin zählte 1947 36 Lehr und Kontrollanalysen und musste an der Vorstandssitzung vom 24.1.1948 fragen: «Wer sind diese 36 Leute?» Zwei dieser 36 hatten allerdings – nach einer Analyse beim verlorenen Sohn Rudolf Brun – eine IPV konforme Ausbildung: Paul Parin wurde im Februar 1951, Fritz Morgenthaler ein Jahre später ordentliches Mitglied der SGP. Während Parin ab 1949 volle 16 Jahre als Revisor abver diente, sass Morgenthaler 1956 im SGP Vor stand, dafür wurde Parin 1967 Präsident. Zurück ins Jahr 1951: Der SGP Vorstand erklärte sich einverstanden, «dass die in ner halb der Gesellschaft bis jetzt bestehenden Einrichtungen zum Studium der Freudschen Psychoanalyse ausge baut werden im Sinne eines ‹Schweizerischen Psy choanalytischen Lehrinstitutes›.» Pfister hatte die Idee 1949 wieder aufgegriffen und bereits Statuten ausgearbeitet (in welchem er auch sein Anliegen eines Analy tiker Di ploms wieder einbrachte). Die Betriebsamkeit hing damit zusammen, dass zwi schen verschiedenen tiefenpsychologischen Richtungen ein Rennen im Gang war: «Unter Mitarbeit unseres Mitgliedes Prof. Schneider hat sich ein ‹Schwei zeri sches SzondiKomitee› gegründet. Auch das ‹JungInstitut› floriert. Deshalb wird das Einrichten eines ‹Instituts für Psychoanalyse› immer dringender» (19.12.1952). In den folgenden Jahren verschwand das Traktandum aus den noch vorliegen den Pro tokollen des Vorstandes. Dafür nahmen Gespräche über Aufnahmegesuche deut lich zu, und damit Diskussionen, welche Analysen von der SGP als Lehranalysen anerkannt würden. Es gab ausserordentliche Mitglieder, die potentielle Analytiker analysierten, obwohl dafür ordentliche Mitglieder vorgesehen waren, und es gab ordentliche Mitglieder, die im Begriff waren, eine eigene Schule zu gründen – die Lehranalysen machten, welche die SGP nicht anerkennen wollte (Gustav Bally und Medard Boss). Sarasin löste das Problem der Dispziplinlosigkeit der Schweizer prag matisch in zwei Schritten: Zunächst wurde festgehalten, dass der Umstand, dass der Analytiker nicht or dentliches Mitglied der Gesellschaft sei, kein Grund dafür dar stelle, den Sta tus der «Lehranalyse» zu verweigern; dass aber «bei ausser ordentlichen Mitglie dern die Kon trolle am Kandidaten selbst vorgenommen werde, 30 Jahre PSZ – Institutionalisierung/DesInstitutionalisierung 104 Thomas Kurz bevor man sie ak zep tiere» (29.9.1956). Wegen Boss und Bally wurde dieses Vorgehen auch auf Analysen von ordentlichen Mitgliedern ausgeweitet, was die un ten aus geführte Praxis der nachträglichen Anerkennung von Lehranalysen (nach Fritz Meerwein «eine schweizerische Eigenart», von uns als «Lex Sarasin» bezeichnet) begründete. Im Ja nuar 1959 beschloss der vollständige Vorstand (Sarasin, de Saus sure, Ram bert, Blum und Morgenthaler) zusammen mit dem Präsidenten des deutschschwei zeri schen Un ter richtsausschusses Paul Parin schliesslich einhellig, dass Kandidaten künftig em pfohlen wer den solle, zwei Be suche bei einem Mitglied des Unterrichts Ausschuss zu machen: Einen Besuch am Anfang der Analyse, um ein Bild von den Symp tomen und von dem Wunsch, Psy choanalytiker zu werden, zu bekommen. Und ein zweiter Besuch bei fortge schritte ner Analyse, um den Verlauf beurteilen zu kön nen. Diese Pra xis war von de Saussure vorgeschlagen und von Parin por tiert worden. Von de Saussure wurde auch über nom men, dass der Analytiker des Kandidaten nicht in den Entschei dungsprozess ein bezogen werden solle. Im Vorstandsprotokoll vom Januar 1959 kam auch zum Ausdruck, dass die Idee eines Instituts für Psy choanalyse – seit Jahren nicht mehr erwähnt – von der Basis auf gegriffen und in Zürich, Bern, Lausanne und Genf in die Tat umgesetzt worden war. Ef fektiv wurden in Bern seminaristische Veranstaltungen für Psychiatrie as sis tenten und in Lausanne solche für Kinderanalytiker gegeben; zudem gab es in Genf ein cen tre d’en seignements mit wöchentlichen Veranstaltungen. Das «Seminar Zü rich» hat te gemäss Bericht von Parin seit November 1958 eigene Räume an der Rä mi strasse. «Im Seminar sind ca 15 Hörer, fast alles Nicht Medi ziner» , während sich die Ärzte um das Burghölzli (d. h. um das Institut für ärztliche Psychotherapie von Boss und Bally) gruppieren würden. Bereits 1958 zeichnete sich eine Zusammen arbeit zwi schen diesen zwei Institutionen ab; der spätere SGP Präsident Fritz Meer wein war auf der Seite des BossBally Instituts an den Verhandlungen mit Parin und Mor genthaler beteiligt. 1961 anerkannte die SGP das centre romand d’en seignement psy cho ana ly tique in Genf und das Psychoanalytische Seminar Zürich (PSZ) als offi zielle Aus bildungs stätten der SGP. 1961 wurde Raymond de Saussure (auf Vor schlag von Parin) neu er Präsident. Die Deutschschweizer Psychoanalyse war seit einigen Jahren von Parin (Prä si dent des Unterrichtsausschusses) und Morgenthaler (Aktuar im Vor stand) ge prägt wor den; zunächst spannungsfrei und im guten Einvernehmen mit den übrigen Mitglie dern der Gesellschaft. Erst 1962 kam es – von unerwarteter Seite – zu einer ersten Missfal lens kundgebung über die Macht kon zen tration am Utoquai 41 (der Praxis ParinMor gen thaler): Ausgerechnet der Parin und Morgenthaler Journal für Psychoanalyse 48 Die Psychologie der Schweizer 105 Analytiker Rudolf Brun drohte, aus der SGP auszutreten, weil der Vorstand einem seiner Analysanden die aus ser or dentliche Mitgliedschaft verweigert hatte. Brun denunzierte den Kreis um Parin und Morgenthaler als «Clan» und em pfahl seinen zwei ExAnalysanden echauf fiert eine Nachanalyse bei Zulliger oder de Saussure. Brun konnte schliesslich von seinem Austritts vorha ben abgebracht werden. An den Kursen des Zürcher Seminars nahmen 1958–1965 rund 40 Perso nen teil, zehn Dozenten unterrichteten, unter anderen Bally, Berna, von Blarer, Blum, Lincke, Morgenthaler, Ulrich Moser, Parin und Winter. Einen Bruch zwischen der Zür cher Gruppe und der SGP gab es nicht, im Gegenteil: Die Ver bands politik der SGP wurde stark von den Zür chern bestimmt, die wichtige Aemter innehatten. Dasselbe trifft für das Verhältnis zur IPV zu: Morgent haler und Parin en gagierten sich im Vereinsleben der IPV, über nahmen Ämter und betei ligten sich an Kongressen. Das Verhältnis zur IPV war konfliktlos, obwohl die SGP als einzige compo nent so ciety zu Beginn der Aus bil dung kein Selektionsverfahren anwandte, was in der IPV bemerkt und von Heinz Kohut moniert worden war. Morgenthaler hatte 1967 aus der Not schweizerischer Disziplin losigkeit bei der Einhaltung der IPV Ausbildungs stan dards (s.o.) eine Tugend gemacht (und damit eine Grundlage für das Ausein anderfal len von SGP und PSZ gelegt): Kandidaten machten die psycho analytische Ausbil dung (die per sönliche Analyse und der Besuch von Se minarien z. B. am PSZ) näm lich nunmehr offiziell ausserhalb der SGP; und diese be hielt sich vor, ungeeignete Per sonen auch nach langjähriger Ana lyse bei SGPMit gliedern und Seminarbesuchen abzu weisen. Erst mit der Auf nahme als ausser ordent liches Mitglied anerkannte die SGP die persönliche Analyse als Lehranalyse und der Analysierte konnte am Ve reins leben teilnehmen. Als sich die 68er der Freud’schen Psychoanalyse zuwandten, überstieg die Nachfrage nach Analyseplätzen bei SGP Mitgliedern das Angebot massiv, und die Ausbil dungs praxis wurde wei ter liberalisiert: Der damalige SGP Präsident Paul Parin bei spielsweise ver wies Ausbildungs kan didaten offiziell nun auch an aus gebildete NichtSGP Mitglie der mit dem Hin weis auf die erwähnte «Lex Sarasin»: Dass in der Schweiz die Kon trolle in jedem Fall post fes tum am Kandidaten selbst vor ge nommen werde. Im Februar 1974 wurde diese Praxis im offiziellen SGP Bulletin festge schrie ben: «Wünscht jemand seine Analyse bei einem Analytiker zu machen, der nicht Mitglied der Gesellschaft ist, oder hat er dies bereits unternommen, wird es wie bei jeder Analyse vom Ergebnis abhängen, ob diese Analyse für die Ausbildung zu reichend ist.» Das ordentliche SGP Mitglied Lambelet erklärte im Juni 1974 in Basel: «In unserer Gesellschaft gibt es weder den Begriff des Lehranalytikers noch denjenigen 30 Jahre PSZ – Institutionalisierung/DesInstitutionalisierung 106 Thomas Kurz der Lehranalyse. Angehende Mitglieder sind deshalb nicht verpflichtet, ihre eige nen Analysen bei ordentlichen Mitgliedern der Gesellschaft zu absolvieren. Zeigt die Analyse das gewünschte Resultat, spielt es keine Rolle, ob sie bei einem ordentlichen oder ausserordentlichen Mitglied der Gesellschaft oder bei einem an deren Analytiker absolviert worden ist» (Protokoll, 22.6.1974). Parin wurde 1967 SGP Präsident. Er hatte diese Präsidentschaft in der Meinung über nom men, dass die Jun gen eintreten und das im internationalen Vergleich liberale Erbe der Schweizer Grup pe verteidigen würden. Mit dem Eintritt der Jungen hätte sich das Problem natürlich ergeben. Aber wieder einmal traten voll ausge bildete Freu dianer nicht in die Organi sation der Freud’schen Psy cho ana lyse ein. Bert hold Rothschild, Irene Brogle, Pe dro Grosz, Emilio Modena, Judith Valk, Ilka von Zep pelin und andere hatten ein «Krän zli» der 3. Generation ge gründet: die linke «Platt form», ein JointVenture von 1968 und Freud’scher Psychoanalyse. Anstatt nun durch die weit geöffneten Türen in die SGP einzutreten, die conté station in sie hinein zu tragen und sie umzugestalten, denunzier ten sie SGP und IPV als sklerotisch und geron to kra tisch und blieben draus sen – of fen sichtlich eine andere «schwei ze rische Eigenart», neu legitimiert. Die Etablierung einer Freud’schen Psychoanalyse ausserhalb der SGP wurde weiter vorangetrieben, als Morgenthaler 1970 mit den studentischen Forderungen ernst machen und durchsetzen wollte, dass das PSZ «als erstes Ausbildungsinstitut einer psychoanalytischen Gesellschaft der I.P.A. [=IPV, Anm. T.K.] von den Studenten selbst übernommen und geführt werden» solle: «Ein ordentliches Mitglied wird auch zukünftig der Schweizerischen Gesellschaft für Psycho analyse gegenüber die Ver ant wortung für das Seminar Zürich tragen, sofern es möglich ist, das Seminar so zu führen, dass es den Interessen der Gesellschaft nicht zuwiderläuft. Diese Inte res sen sind ausschliesslich auf die Förderung des Gedankenguts der Psychoanalyse Freuds ausge richtet.» Darunter verstanden nun allerdings nicht alle Beteiligten dasselbe, was in den folgen den Jahren zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen linken 68ern, weniger poli ti sierten Teilnehmern und etablierten Analytikern führte. Die allge meine restaurative Demontage der Errungenschaften von 1968 und die drohende Regulierung der Psy chotherapie schürten Ängste. Entlas sungen von Psychologen im Hause Gilgen führ ten zu seminar in ternen Auseinandersetzungen, weil so wohl die entlassenen Psycho logen als auch der entlassende Chef am Seminar stu dier ten. Und wieder einmal platz te 1973 ein Kongress, den die SGP organisierte: Wiederum waren die beteiligten aus ländischen Gesellschaften mit der schweizerischen Programmge stal tung unzufrieden, wieder einmal wollten die Schweizer Personen Journal für Psychoanalyse 48 Die Psychologie der Schweizer 107 auf dem Podium, die nicht SGP Mit glieder waren (an einem solchen Ansinnen der Schweizer platzte bereits der Luzerner Kongress von 1926), und wieder einmal wurde die nichtkon forme Schweizer Visi ten karte vom Ausland nicht toleriert: Der Kongress wurde ab geblasen (s. Kurz 1993). Der Ärger der Deutschen und der Österreicher schürte nun vorbestehende Ängste, der Schwei zer Sonderzug würde vom Aus land gestoppt und die SGP könnte die An er kennung der IPV verlieren. 1975 kam es auf Anregung von SGP Präsident Fritz Meerwein, der eine Spaltung verhindern woll te, zu einer Aussprache mit dem IPV Präsidenten Serge Lebovici, «to eradicate the general mistrust in our system» (2.10.1974). Danach schlug eine SGP interne Ar beitsgruppe eine Statutenänderung vor, welche postulierte, dass künftig Aus bildungs zentren nur noch anerkannt wür den, wenn im Vorstand SGP Mitglieder die Mehrheit haben. Dies war ein frontaler An griff auf die Selbstver wal tung des Zür cher Semi nars. Das Postulat wurde im April 1977 von der SGP Gene ralversammlung gut ge heissen. Einen Monat später teilte die SGP dem PSZ mit, dass der von der SGP ge wählte Unterrichtsausschuss der Region Zürich die von den Teil nehmern des Se mi nars gewählte Seminarleitung ersetze. Als das Seminar diesen Machtwechsel nicht akzeptieren wollte, schloss die SGP die Räume in Witikon – sie hatte als Mieter das Recht dazu. Damit war die Spaltung, die niemand wirklich wollte, vollzogen. Es gab nunmehr zwei Freud’sche Aus bildungs stät ten in Zürich. Hinter dieser Spaltung standen keine unterschiedlichen Auffassungen über die rich tige psychoanalytische Lehre, die Metapsychologie , die Neurosenlehre oder die Be handlungstechnik. Die Divergenz bezog sich vielmehr auf die Organi sa tion der psy choanalytischen Gemeinschaft, auf Fragen der Zugänglichkeit und des Elitaris mus, der Selektion und der innere Differenzierung. Dies hätte wohl für eine Spaltung nicht gereicht, hätte nicht die Heftigkeit der Auseinan der setzung bei den Beteiligten Nar ben hinter las sen, die es verunmöglichten, unter dem selben Dach (Freud an Abra ham, 4.3.1924) an der Sache weiterzuarbeiten. Die Platzierung der Lehranalyse ausserhalb der SGP, die Autonomisierung des Zür cher Seminars, das von der Anerkennung der SGP ab hängig blieb: Diese waghalsige Kon struktion konnte auf die Dauer nicht gut gehen, sicher jedenfalls nicht in den tur bulenten, polarisierten Zeiten nach 1968. Es gehört zur Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet die kritischen, linken Freudianer die Zugehörigkeit zur Freud’schen In ternationale ohne Not preisgegeben haben – wie figura zeigt in gut schweizerischer Tra dition. Dass es nicht, wie nach der Oberholzer Sezession, zu einer sanften Wiederver ei ni gung gekommen ist, hängt damit zusammen, dass die SGP beim grossen 30 Jahre PSZ – Institutionalisierung/DesInstitutionalisierung 108 Thomas Kurz Reine machen nebenbei das Privileg der ordentlichen Mitglieder, Lehranalysen durch zuführen, ohne landesübliche Übergangsbestimmungen wieder errichtet und mit der Lex Sarasin eine schweizerische Eigenart aufgegeben hat. Viele voll ausge bildete PSZFreudianer hatten dadurch nicht mehr einen konformen eige nen Ana lytiker und die SGP Mitgliedschaft fiel ausser Betracht. Die Spaltung, die niemand wollte, hat die Kräfte verzettelt und die Stellung der Freud’schen Analyse in der Schweiz ge schwächt. Fussnote Die Zitate zur FreudKorrespondenz stammen aus den publizierten Briefwechseln, diejenigen zur Geschichte der SGP aus dem SGP Archiv, Blum Zulliger Stiftung, in Bern. Sie erfolgen mit freundlicher Genehmigung des Archivars, Dr. Kaspar Weber. Literatur und Quellen Abraham, H.C. & Freud, E.L. (Hrsg.) (1980): Sigmund Freud Karl Abraham. Briefe 1907–1926. Frankfurt am Main: S. Fischer. Fichtner, G. (Hrsg.) (1992): Sigmund Freund Ludwig Binswanger. Briefwechsel 1980–1938. Frankfurt am Main: S. Fischer. Freud, S.: Gesammelte Werke. Band XIII. Frankfurt am Main: S. Fischer. Freud, S.: Briefwechsel Sigmund Freud, Max Eitingon. Band I und II, Schröter, M. (Hrsg.) 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(2006): Die Rundbriefe des «Geheimen Komitees». Band 4: 1922, Tübingen: edition diskord. Anmerkungen 1 Eine gekürzte Version dieses Textes erschien in der Septemberausgabe 2007 der «Schweizer Monatshefte» im Rahmen der Serie «Zürich, Stadt der Seelenkunde». 30 Jahre PSZ – Institutionalisierung/DesInstitutionalisierung